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20.04.2024, 07:04 Uhr

Leiharbeit: "Sprungbrett in den Arbeitsmarkt"?

  • 06.04.2010
  • Allgemein

"Vollzeitjobs nicht auf der Kippe" vermeldete das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Mitte März und rechnete vor, "flexiblen Erwerbsformen" verdrängten nicht etwa reguläre Beschäftigung, sondern seien ein "Sprungbrett in den Arbeitsmarkt". Was so beruhigend klingt, basiert allerdings auf rechnerischen Taschenspielertricks.

Das arbeitgebernahe Kölner <link http: www.iwkoeln.de tabid default.aspx _blank external-link-new-window>undefinedIW sah sich offenbar genötigt, der um sich greifenden Erkenntnis über Risiken und Nebenwirkungen atypischer Arbeitsformen etwas entgegen zu setzen. Das ist nicht erstaunlich, baut doch die Wirtschaft auf einen neuen Boom vor allem von Leiharbeit, sobald die Konjunktur wieder anzieht. Mehr Flexibilität bedeutet tendenziell höhere Gewinne - allerdings auf Kosten der Arbeitnehmer.

Erfolgsformel Hartz?

Angesichts zunehmender Zweifel in Öffentlichkeit und Politik bemüht sich das IW daher, die umstrittenen Arbeitsmarktreformen als Erfolgsformel für alle Beteiligten darzustellen. Eine <link http: www.iwkoeln.de presselounge pressemappen tabid itemid default.aspx _blank external-link-new-window>undefinedPressekonferenz mitsamt umfangreicher Materialen stützt sich dabei vor allem auf eine einzige Rechnung: "Rund 78 Prozent der Personen, die im Jahr 2003 einen unbefristeten Vollzeitjob hatten, waren auch 2008 noch in einem solchen Vertragsverhältnis."

Vergleich von Äpfeln mit Birnen

Das dahinterstehende Zahlenspiel fällt nur bei genauem Hinsehen auf: Das Rezessionsjahr 2003 vergleicht man ohne viel Federlesens nicht etwa mit dem Krisenjahr 2009, sondern mit dem letzten Boomjahr davor - 2008. In diesem Aufschwung wurden in der Tat wenigstens keine bestehenden Vollzeitstellen durch "flexible" verdrängt. Daraus jedoch eine grundsätzliche Verharmlosung atypischer Beschäftigung abzuleiten, wirkt kaum überzeugend, zumal auch noch die meist zwar unbefristete, aber trotzdem jederzeit kündbare Vollzeitbeschäftigung von Leiharbeitnehmern den regulären Vollzeitstellen zugerechnet wird.

Was im Boom noch klappt ...

Tatsächlich haben die Arbeitsmarktreformen, die den Boden für "flexible" Beschäftigung bereiteten, die Versprechen gegenüber den Beschäftigten keineswegs erfüllt. Wuchs die Wirtschaft vor der Krise jährlich um bis zu drei Prozent, ging die Arbeitslosigkeit gleichzeitig nur um zwei Prozent zurück. Und selbst dieser Personalbedarf wurde fast ausschließlich mit Leiharbeit, Minijobs und befristeten Stellen abgedeckt, wie unter anderem das <link http: www.destatis.de jetspeed portal cms sites destatis internet de presse pm _blank external-link-new-window>undefinedstatistische Bundesamt feststellte.

... bricht in der Krise schnell zusammen

Mit der Krise schließlich kam endgültig die Ernüchterung. Die Beschäftigten im vielgepriesenen "Jobwunder Leiharbeit" waren erwartungsgemäß fast überall die ersten, denen der Stuhl vor die Tür gestellt wurde, gefolgt von der ebenfalls stark gewachsenen Gruppe der befristet Beschäftigten (siehe Befristet ohne Ende) und den geringfügig Entlohnten. Dass vor diesem Hintergrund selbst die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Deutschland eine "Zweiklassengesellschaft am Arbeitsmarkt" <link http: www.fr-online.de in_und_ausland politik datenschutz spezial_ueberwachte_beschaeftigte _blank external-link-new-window>undefinedbescheinigt, bestätigt dieses Bild.

Hart der Grenze der Seriosität

Die verharmlosenden Rechnungen des IW manövrieren in diesem Fall also hart an der Grenze der Seriosität. Ein weiteres Beispiel der wissenschaftlich verpackten "<link http: www.iwkoeln.de portals pdf pm13_10iwd.pdf _blank external-link-new-window>undefinedStudie" unterstreicht diesen Eindruck: Die Zweiteilung in unbefristete Vollzeitstellen und atypische Beschäftigung gehe "an der Wirklichkeit und am Empfinden der Menschen vorbei", stellt das IW fest - ohne auch nur einen einzigen Beleg zu liefern.

Die reichlich wackelige Behauptung versucht man stattdessen mit einer zweiten unbewiesenen Annahme zu stützen: Dass fast die Hälfte aller Frauen Teilzeit arbeite sei "zum großen Teil gewollt." Keine Statistik, nicht einmal eine Umfrage - das IW stellt einfach frei von der Leber weg fest und folgert schließlich: "Die Vollzeitbeschäftigung ist für diese Gruppe also keineswegs der Normalfall." Mit der Trennung von Ursache und Wirkung scheint man es da nicht allzu genau zu nehmen.