Aus dem großen amerikanischen Siemens Mobility-Standort Sacramento erreichen seit Monaten massive Vorwürfe die Betriebsratsgremien auf Konzernebene und die IG Metall in Deutschland. Trotz vieler entsprechender Bemühungen ist es angesichts widersprüchlicher Informationen von Firmenseite und Gewerkschaften nicht einfach, aus der Ferne ein zuverlässiges Bild zu erhalten - Aufklärung tut not.
Die anhaltenden Beschwerden der beteiligten US-Gewerkschaften erhärten allerdings den Verdacht, dass es im Werk in Sacramento an der Umsetzung der Regelungen hapert, die derartige Konflikte eigentlich verhindern sollen.
Ein 2012 vereinbartes International Framework Agreement (Globales Rahmenabkommen) und ein speziell für Siemens in den USA seit 2016 ergänzender „Letter of Understanding“ sollen sicherstellen, dass über die aus deutscher Sicht eher restriktiven US-Gesetze hinaus faire Bedingungen für die amerikanischen Beschäftigten, Betriebsräte und Gewerkschaften geschaffen werden. In diesen Vereinbarungen sind Grundlagen, von der Anerkennung internationaler Arbeitsnormen über Neutralität gegenüber Gewerkschaften und deren Organisierungsversuchen bis hin zur Verpflichtung zu gegenseitigem Respekt, definiert.
Sogenanntes Union Busting, also die in den USA als Geschäftsmodell etablierte, professionell organisierte „Gewerkschaftsabwehr“, ist in nach diesen Vereinbarungen bei Siemens ebenfalls ausgeschlossen. Zur Erinnerung: In den USA muss eine Belegschaft in der Regel darüber abstimmen, ob sie sich mit einer Gewerkschaft organisieren will. Genau eine solche Abstimmung scheint in Sacramento behindert, zumindest aber beeinflusst zu werden, berichten die Gewerkschaften „Boilermakers“ und „International Brotherhood of Electrical Workers“, die die Kampagne gemeinsam vorantreiben.
Was in diesem Zusammenhang ergänzend erwähnt werden muss: Diese Abstimmung ist juristisch nicht zwingend erforderlich. Es steht dem Management jederzeit frei, ohne irgendwelche vorherigen Bedingungen Gespräche hinsichtlich Interessenvertretung und Mitbestimmung zu führen – dies wäre auch im Geiste des „Letter of Understanding“.
Boilermakers und IBEW jedenfalls sind überzeugt, dass Siemens Mobility in Sacramento nicht „nur“ gegen das Framework Agreement und dessen Ergänzung verstößt, sondern auch gegen amerikanische Bestimmungen; so überzeugt, dass sie unter anderem bereits Beschwerde beim zuständigen National Labour Relations Board eingelegt haben.
In Deutschland werden bei Siemens Mitarbeiterschutz und konstruktive Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern lobenswert großgeschrieben, das ist unbestritten. Umso weniger Verständnis erzeugt der Eindruck bei den betroffenen US-Gewerkschaften, dort sei lokales Management bisweilen wenig wählerisch in der Wahl seiner Mittel, um auszuhebeln, was hierzulande selbstverständlich ist.
Das übergeordnete Siemens-Management hat angesichts dieser Vorwürfe seinerseits Informationen zur Situation in Sacramento eingeholt. Das Ergebnis führt jedoch nicht zu einem Fortschritt und konzentriert sich im Wesentlichen auf die Aussage, man halte sich konsequent an die geltenden Gesetze und Bestimmungen.
Das sehen Boilermakers und IBEW zwangsläufig anders, und liefern dafür auch Anhaltspunkte. Bei einem Online-Treffen mit Vertreter*Innen der IG Metall und deutscher Mobility-Vertrauensleute äußerten betroffene Kolleg*Innen aus dem Werk in Sacramento Ende Mai harte Vorwürfe über die Behinderung gewerkschaftlicher Organisationsversuche und Benachteiligung der Beteiligten – aber auch darüber hinaus (siehe Download-Datei Sacramento-SMO-statements.pdf unten). Auf Nachfrage schilderten sie in vielfacher Hinsicht fragwürdige Arbeitsbedingungen unterhalb der im Konzern etablierten Standards - was ganz sicher auch nicht im Sinne des übergeordneten Managements in den USA und Deutschland ist.
Zusammenfassend bleibt festzuhaltend, dass umfangreiche und objektive Aufklärung der tatsächlichen Situation im Werk unumgänglich ist; endloser Mail-Verkehr mit Wiederholung der immer gleichen Aussagen führt unverkennbar nicht weiter. Hilfreich wäre in diesem Zusammenhang auch ein echtes Zugangsrecht der Gewerkschaften, um mehr Kommunikation zu ermöglichen - ein frei zugänglicher Infostand auf dem Firmenparkplatz wäre hier bereits ein enormer Fortschritt.