Siemens Dialog
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20.04.2024, 05:04 Uhr

Als hätte man nichts gewusst

  • 27.05.2010
  • Allgemein

... reagieren internationale ITK-Marktgrößen auf Berichte über katastrophale Arbeitszustände beim taiwanesischen Auftragsfertiger Foxconn. Die angesichts der Medienaufmerksamkeit plötzlich demonstrierte Betroffenheit wirkt etwa so glaubwürdig wie ein 7-Euro-Schein. Internationale und chinesische Organisationen prangern die Arbeitsbedingungen im Land schon seit Jahren an - meist fast ungehört.

Glänzende Fassade, üble Zustände.

Foxconn? Wer ist Foxconn?

Bis vor wenigen Tagen war <link http: www.foxconn.com _blank external-link-new-window>Foxconn den wenigsten Menschen außerhalb der Elektronikbranche ein Begriff, wenngleich das Unternehmen mit rund 486.000 Beschäftigten und einem Gewinn von rund 1,7 Milliarden US-Dollar zu den ganz Großen der ITK-Fertigung zählt. Nun gerät es mit einem Schlag in den Fokus der Öffentlichkeit; die im Westen schwer vorstellbaren Arbeitsbedingungen in einem Werk im chinesischen Shenzen führten innerhalb weniger Jahre zu einer Serie von Selbsttötungen, die in jüngster Zeit sprunghaft zunahmen.

Und auch sonst hat Foxconn allen Grund zur Öffentlichkeitsscheu, zumal sich die Vorwürfe regelmäßig wiederholen, wie auf <link http: en.wikipedia.org wiki foxconn _blank external-link-new-window>undefinedWikipedia schon seit Jahren berichtet wird. Jetzt versucht man notgedrungen, mit absurd wirkenden Maßnahmen aus der image-schädigenden Klemme zu kommen, die das einträgliche Geschäft bedroht. Weit weniger im Halbdunkel dieses Geschäfts nämlich stehen die Kunden Foxconns, die es sich nicht leisten können, ihre Markennamen mit unliebsamen Vorfällen assozieren zu lassen.

Apple, Amazon, Cisco, Dell, Fujitsu Siemens, HP, Motorola, Microsoft, Sony & Co

Betroffen ist praktisch die gesamte Crème de la Crème der ITK- und Unterhaltungsindustrie: Apple produziert hier Mac Mini, iPod, iPhone und den soeben mit enormem PR-Aufwand präsentierten iPad; aber auch der Amazon Kindle sowie eine riesige Bandbreite von Produkten für Intel, Dell, Hewlett-Packard und Cisco stammt von Foxconn, ganz zu schweigen von PlayStation (Sony), Wii (Nintendo) und Xbox 360 (Microsoft), für die ein sauberes Image überlebenswichtig ist.

Bewährter Standard: nichts gesehen, nichts gehört, nichts gewusst

All diese Firmen drängen nun mit Beteuerungen an die Öffentlichkeit, von den unhaltbaren Zuständen in der Produktion nichts gewusst zu haben. Etwa 250.000 Beschäftigte hat Foxconn nach Schätzungen allein in Shenzen, die Mehrheit Wanderarbeiter. Sie sind in riesigen Schlafsälen in den Werken untergebracht, arbeiten sechs Tage pro Woche zehn oder mehr Stunden für rund 200 Euro im Monat, und werden mit Drückermethoden bei der Stange gehalten - während die Behörden konsequent wegsehen. Man darf gespannt sein, ob die akute Aufmerksamkeit einen Ansatz für nachhaltige Verbesserungen erzeugt, und sei es nur aus Sorge ums Geschäft.

Spuren verwischen, Unschuld beteuern

Optimismus scheint angesichts früherer Erfahrungen nur bedingt angebracht. In vergleichbaren Fällen zauberte die profitable Wertschöpfung im Handumdrehen zahlreiche Strohfirmen aus dem Hut, die als schwer zu verfolgendes Netzwerk eine Nebelwand zwischen renommierten Auftraggeber und tatsächliche Fertigung legte. Die großen PC-Fertiger verwiesen dann scheinheilig darauf, ihre unmittelbaren Zulieferer vertraglich zur Einhaltung der internationalen Arbeitsnormen zu verpflichten. Was allerdings wiederum bei deren Zulieferern im zweiten und dritten Glied geschehe, so die willkommene Ausflucht, können man leider meist nicht beeinflussen.

Suizid verboten

Foxconn müht sich unterdessen mit Maßnahmen um Schadensbegrenzung, die ein bezeichnendes Licht auf die Einstellung zu den Beschäftigten werfen. Von Netzen ist die Rede, die man in Hallen und zwischen Gebäuden spannt, um mehrfach vorgekommene Sprünge in den Freitod zu verhindern. Und auch juristisch versucht man sich aus der Affäre zu ziehen: In den Arbeitsverträgen wird ein Passus aufgenommen, der dem Beschäftigten suizidäre Aktivitäten ausdrücklich untersagt.