Siemens Dialog
https://www.dialog-igmetall.de/nachrichten/armut-und-ungleichheit-ueber-dem-schnitt
18.04.2024, 14:04 Uhr

Armut und Ungleichheit über dem Schnitt

  • 23.10.2008
  • Allgemein

Eine Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung konstatiert eine alarmierende Entwicklung im deutschen Sozialgefüge: Die Spreizung zwischen hohen und niedrigen Einkommen sowie die Arbeitslosigkeit führen zu überdurchschnittlich wachsender Ungleichheit und Armut im Land.

(Quelle: OECD. Zum Vergrößern anklicken.)

Die <link http: www.oecd.org document _blank external-link-new-window>OECDOECD stellte am Dienstag ihre Studie "Mehr Ungleichheit trotz Wachstum?" vor, die eine Reihe von Analysen der Verteilung wirtschaftlicher Ressourcen in den OECD-Ländern enthält. Im Gegensatz zur Mehrheit ähnlicher Studien erfasst der Bericht auch Bereiche, die oft außer Acht gelassen werden, beispielsweise Vermögen der privaten Haushalte, Konsumgewohnheiten und öffentliche Sachleistungen.

Einkommensschere und Armut "deutlich schneller" gewachsen

In Deutschland sind der Untersuchung zufolge die Einkommensunterschiede und der Anteil armer Menschen in den vergangen Jahren "deutlich schneller" gestiegen als in den meisten anderen OECD-Ländern. Der Anteil der Menschen, die in relativer Armut leben, also mit weniger als der Hälfte des so genannten Medianeinkommens auskommen müssen, liegt knapp über dem Schnitt; Anfang der 90er Jahre war er noch rund ein Viertel darunter.

Auch die bisher im OECD-Vergleich eher geringen Einkommensunterschiede haben mittlerweile beinah zum Mittelwert aufgeschlossen. Als Ursache hierfür macht die Studie vor allem den "überproportionalen Anstieg der höheren Einkommen seit der Jahrtausendwende" aus.

Trauriger Spitzenplatz

Wie man an diesem Trend sieht, ist die im Zusammenhang mit der laufenden M+E-Tarifrunde gestellte Forderung nach mehr Verteilungsgerechtigkeit keineswegs der übertrieben emotionale Aspekt, als den sie die Arbeitgeberseite abzutun versucht; die angeblich nur "gefühlte" Ungerechtigkeit belegen harte statistische Fakten. Die <link http: www.oecd.org document _blank external-link-new-window>OECD-Zusammenfassung weiter:  "Insgesamt haben in Deutschland Ungleichheit und Armut in den Jahren 2000 bis 2005 so schnell zugenommen wie in keinem anderen OECD-Land."

Ungleichheit als Wirtschaftsbremse

Auch mit der neoliberalen Schutzbehauptung, derlei Entwicklungen seien nun einmal eine unvermeidbare Begleiterscheinung von Prozessen, die letztlich zum Wirtschaftswachstum führten, räumt die OECD gründlich auf: "Eine höhere Einkommensungleichheit behindert die Aufstiegschancen über die Generationen hinweg. Sie macht es für talentierte und hart arbeitende Menschen schwerer, den Lohn zu erhalten, den sie verdienen. Diese mangelnde soziale Mobilität beeinträchtigt die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit insgesamt", erklärte OECD-Generalsekretär Angel Gurría.

Umverteilung "nicht übermäßig zielgerichtet"

Das Armutsrisiko hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren in praktisch allen OECD-Ländern von älteren auf jüngere Menschen und vor allem auf Kinder verlagert. Deutschland allerdings ragt auch hier unrühmlich hervor: Die Entwicklung war "fünf Mal so schnell wie im OECD-Mittel". Staatliche Versuche, die Armutsunterschiede durch so genannte soziale Transfers abzufedern, erweisen sich unter der Lupe als wenig effektiv. Zwar verringern sich durch sie Einkommensungleichheit und Armut im Erwerbsalter um die Hälfte, was exakt dem OECD-Schnitt entspricht. Dafür jedoch betreibt man unverhältnismäßig hohen Aufwand: "Steuern und soziale Transfers stellen einen höheren Anteil am Haushaltseinkommen dar als in anderen Ländern. Das deutsche Umverteilungssystem ist mit Blick auf Armutsvermeidung nicht übermäßig zielgerichtet."