Siemens Dialog
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29.03.2024, 00:03 Uhr

China - Wirtschaftsmacht der Zukunft?

  • 28.01.2004
  • Allgemein

IG Metall NRW informierte über Lage und Entwicklung im neuen Land der unbegrenzten Möglichkeiten

China - Wirtschaftsmacht der Zukunft?

Mit einem gut besuchten Informationsabend über die aktuelle wirtschaftliche Situation und absehbare Entwicklungen in China reagierte die IG Metall Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf am 26. Januar auf das Interesse, das Unternehmen wie Siemens der neuen Boom-Region vor allem seit ihrem Beitritt zur Welthandelsorganisation (2001) entgegenbringen. Nach den Managern großer Konzerne rücken zunehmend auch Medien und Politiker das bevölkerungsreichste Land der Erde mit seinem enormen Potenzial in den Blickpunkt der Öffentlichkeit - jährliche Wachstumsraten von knapp zehn Prozent lassen den krisengebeutelten Westen gebannt nach Asien blicken, daran ändert auch ein gescheiterter Transrapid nichts. Im Gegenteil: Wie derzeit der Besuch des chinesischen Staatschef in Frankreich zeigt, sieht man im Wettlauf um wirtschaftliche Chancen mittlerweile auch über politische und soziale Probleme hinweg, die noch bis vor kurzem für harsche Kritik sorgten.

 

Wie also sieht es aus in China? Über 500.000 chinesische Studenten schließen dort jährlich ihr Studium ab. Die erreichte Qualifikation ist für den praktischen Einsatz in der Maschinenbauindustrie dennoch recht lückenhaft, es fehlen ihnen praktische Kenntnisse an CNC-Maschinen und in betrieblichen Produktionsprozessen. Deshalb ist es für Markus Kamann, Spezialist für Berufsausbildung in der M & E-Industrie, Mitglied der Kanzlerdelegation im letzten Dezember und Referent der Veranstaltung, auch keine Überraschung, dass gut ausgebildete Facharbeiter in China momentan noch deutlich mehr verdienen als Hochschulabsolventen. Derzeit fehlen pro Jahr 600.000 Metallfacharbeiter, so das chinesische Erziehungsministerium. Ihr Monatverdienst beträgt bis zu 150 Euro, extremer Engpass herrscht unter anderem bei Automobil-Diagnostikern, die im Servicenetz von PKW-Herstellern einsetzbar sind. Ihre Verdienste erreichen momentan für chinesische Verhältnisse mit maximal vier- bis sechstausend Euro monatlich geradezu astronomische Höhen. Sicherlich wird auch das irgendwann einem Anpassungsprozess unterworfen ...

 

Im Hinblick auf Markt- und Entwicklungspotenzial sind allein schon die statistischen Zahlen Chinas beeindruckend: 1,3 Milliarden Menschen leben dort, unter anderem in über 35 „Megastädten“ mit jeweils mehr als 10 Millionen Einwohnern. Die Wirtschaft wächst seit 1978 mit durchschnittlich neun Prozent jährlich, laut Prognose wird man 2008 die Höhe des deutschen Bruttoinlandproduktes erreichen. 2002 war China der weltweit größte Empfänger von Investitionen aus dem Ausland, knapp 53 Milliarden US-Dollar flossen ins Land, während Waren für 322 Milliarden Dollar es verließen. Einzelne Elemente des Inlandsmarkts expandieren besonders schnell, beispielsweise schließen jeden Monat eine Million Chinesen neue Handyverträge ab. Das Außenhandelsvolumen wächst seinerseits seit 1978 mit durchschnittlich fünfzehn Prozent. In China gibt es mehr Millionäre als in ganz Europa; der Abstand zwischen arm und reich ist extrem, unvorstellbaren Wohlstand genießen einzelne Chinesen im Küstenbereich, bitterste Armut hingegen herrscht im Norden, im Landesinneren und im Westen.

 

Kamann gewann bei seinem Aufenthalt mit der Kanzlerdelegation Eindrücke, die einen ersten Einblick in das noch fremde Land gewähren: So hat das Interesse an deutschem KnowHow einen hohen Stellenwert, während amerikanische Einflüsse eher auf Ablehnung stoßen. Die Chinesen veranstalten keinen Ausverkauf ihrer Ressourcen, ähnlich etwa den Russen; Grund und Boden zum Beispiel kann nicht auf Dauer erworben werden, sondern nur ein Nutzungsrecht für jeweils 50 Jahre, was dem Staat langfristig sichere Einnahmequellen bietet. Die „Einkind-Politik“ wurde aufgeweicht, bei Ehepaaren wird jetzt auch ein zweites Kind akzeptiert. Ausbildung hat einen hohen Stellenwert in Gesellschaft und Familie: Etwa die Hälfte ihres gesamten Einkommens gibt eine Durchschnittsfamilie für die Ausbildung ihres Kindes aus, Bildungseinrichtungen wie Bibliotheken sind selbstverständlich auch an Sonn- und Feiertagen geöffnet. An den chinesischen Tourismus richten sich extrem große Erwartungen, man rechnet damit, dass in naher Zukunft pro Tag 1.000 Jumbojets mit Chinesen in die ganze Welt starten.

 

Für deutsche Arbeitsplätze zeichnet sich schon jetzt ein nachhaltiger Einfluss der Dynamik in China ab. Beispiel Siemens: Dass man mit mehreren Bereichen bereits erfolgreich vertreten ist, ist nur der Anfang - gegenüber dem "Wall Street Journal" wiederholte Heinrich von Pierer zwei Tage nach der Hauptversammlung, man wolle nun die Softwareentwicklung in China massiv ausbauen. Wie auch die osteuropäischen Länder gewinnt der Riese in Asien zunehmend Wettbewerbsvorteile, generelle Lösungen gegen den Verlagerungsprozess von Wertschöpfung in diese Länder sind nicht auszumachen. Lösungen liegen im Zugang zum chinesischen Markt und dort, wo Deutschland über technologische, logistische und Qualifizierungsvorteile verfügt. Diese auszubauen und zu nutzen wird zur wirtschaftlichen und sozialen Überlebensfrage.

 

(ft/hr)