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25.04.2024, 03:04 Uhr

Fröhlicher Überbietungswettbewerb

  • 17.07.2012
  • Allgemein

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) äußert heftige Kritik an der deutschen Wirtschaft, die man in deren Vorstandsetagen wohl ebenso ungern hören wird wie beim Koalitionspartner FDP. Mit Blick auf manche Manager-Vergütungen spricht er vom Verdacht der Selbstbedienung; in den wachsenden Zweifel an der Wirtschaftsordnung sieht er gar eine Gefahr für die Demokratie.

Klare Worte vom zweiten Mann im Staat: Bundestagspräsident Norbert Lammert.

Im <link http: www.sueddeutsche.de politik norbert-lammert-zur-euro-krise-gigantische-einkommensunterschiede-sind-nicht-zu-rechtfertigen-1.1413298 _blank external-link-new-window>undefinedInterview mit der "Süddeutschen Zeitung" verstärkt Lammert eine Befürchtung, die bereits vor einigen Monaten im Zusammenhang mit den Ungerechtigkeiten auf dem Arbeitsmarkt laut wurde (siehe Zweifel an Demokratie und Wirtschaftssystem). Geht das Vertrauen in die Wirtschaftsordnung verloren, so die Annahme, beschädigt dies das politische System: "Die Systeme sind zu eng miteinander verbunden. Dazwischen kann man keine Brandmauern errichten."

Besonders hart prangert Lammert "gigantische Einkommensunterschiede in den Unternehmen" an: "Das ist nicht zu rechtfertigen, schon gar nicht mit entsprechenden Leistungs- und Verantwortungsdifferenzen." Hier konstatiert er einen "fröhlichen Überbietungswettbewerb, der nicht immer mit stichhaltigen Begründungen die Unvermeidlichkeit einer Einkommensspirale nach oben vortäuscht".

Gedankenlosigkeit und Skrupellosigkeit

Auch die Empörung vieler über eine entsprechende Mentalität im Umgang mit den Folgen der Krise kann er offenbar sehr gut nachempfinden. Er sei zuweilen fassungslos über die herrschende Gedankenlosigkeit oder gar Skrupellosigkeit: "Das gilt insbesondere für Klagen zu verweigerten Bonizahlungen der Finanzmakler, die offenkundig kein Problem damit haben, die Folgen ihrer eigenen Fehleinschätzungen und misslungenen Wettgeschäfte beim Steuerzahler anzumelden und gleichzeitig ihre vertraglich begründeten Bonusleistungen bei ordentlichen Gerichten für sich persönlich einzufordern."

Druck zu gesetzlichen Regelungen

Den im Rahmen der Corporate Governance oft eilfertig betonten Selbstverpflichtungen schenkt Lammert unverkennbar nur bedingt Vertrauen. Bei der Debatte in der Wirtschaft selbst könne er nicht erkennen, "dass sie sich in veränderten Verhaltensmustern niederschlägt"; von freiwillig vereinbarten Gehaltsbegrenzungen nimmt er wahr, dass sich Unternehmen "wenn es halt nicht passt, möglichst unauffällig verabschieden". Trotz alledem würde er es vorziehen, wenn der Staat nicht zum Eingreifen gezwungen würde, aber: "Wenn es solche Verpflichtungen nicht gibt oder sie in der Realität leerlaufen, dann wächst der Druck zu gesetzlichen Regelungen."

Schelte für "Finanzakrobaten"

Das zweite große Thema des Interviews ist die Schuldenkrise beziehungsweise der Umgang mit ihr. Auch hier hält Lammert mit Kritik nicht hinterm Berg, besonders mit Blick auf die stets selbstbewusst betonte Kompetenz der Akteure am Finanzmarkt: "Wäre der überlegene Sachverstand der vermeintlichen Experten die natürliche Grundlage für zielgerichtetes Handeln, hätte es die Turbulenzen auf den Finanzmärkten nie geben dürfen. Ich erinnere mich, dass der verzweifelte Appell der Finanzakrobaten an den Staat, den diese für das letzte verbliebene Hindernis für die Effizienz der Märkte gehalten haben, den totalen Zusammenbruch der Finanzmärkte erst verhindert hat. Soviel zum Thema, dass die einen was von der Sache verstehen und die anderen ahnungslos sind."

Neue Balance zwischen Staat und Markt

Die Folgen zu großen Vertrauens in windige Experten wurden in ihrem ganzen Ausmaß erstmals mit Ausbruch der Finanzkrise sichtbar. Lammert räumt das ohne Umschweife ein und, was noch wichtiger ist, zieht plausible Schlüsse daraus: "Es geht eben nicht nur um Staatsschulden, sondern auch um eine Finanzkrise wegen nicht ausreichender Regulierung. Die Ökonomen haben uns vor zehn Jahren weisgemacht, die Finanzmärkte müssten immer weiter liberalisiert werden. Die Politik hat diesem Trend zu großzügig nachgegeben mit der Folge, dass sich die Gewichte verschoben haben. [...] Nun müssen wir die verschobenen Gewichte zwischen Staat und Markt in eine neue Balance bringen."