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28.03.2024, 12:03 Uhr

Gesamtbetriebsrat: Offensiv und innovativ aus der Krise

  • 06.05.2009
  • Allgemein

Am 22. April forderte der Gesamtbetriebsrat der Siemens AG angesichts der Wirtschaftskrise öffentlich einen "New Deal" für das Unternehmen. Auf seiner Sitzung in dieser Woche beschloss das Gremium nun ein Positionspapier, das seine Forderung und ihre verschiedenen Aspekte ausführlich darstellt - eine Neuorientierung, die das Unternehmen offensiv aus der Krise führen soll.

Systeminfarkt der Weltwirtschaft

Einleitend schließt sich der Gesamtbetriebsrat der Analyse der IG Metall zur weltweiten Krise an, nach der die kapitalistische Weltwirtschaft einen Systeminfarkt erleidet. Die Ursachen: unregulierte Finanzmärkte ohne Kontrolle und Steuerung, Ausrichtung am Shareholder-Value statt an langfristiger und nachhaltiger Entwicklung, Vorrang kurzfristiger Gewinnmaximierung auf Kosten langfristiger Investitionen, und Verpflichtung der Manager auf Ausschüttungsmaximierung. Nun ist die Weltwirtschaft unübersehbar aus der Balance geraten.

Siemens ist durch weltweite Aufstellung und differenziertes Portfolio nicht in allen Sektoren gleich betroffen und aufgrund seiner konservativen Finanzpolitik finanziell stabil. Dennnoch war schon im April für 20.000 Beschäftigte Kurzarbeit aktuell laufend, vereinbart oder in Verhandlung. Mittelfristig wird die Krise voraussichtlich auch Bereiche mit längeren Auftragszyklen erreichen.

Oberste Priorität: Arbeitsplätze und Standorte

Angesichts dieser Situation sieht der Gesamtbetriebsrat die oberste Priorität im Erhalt der Arbeitsplätze und Standorte.  Die Gesamtbetriebsvereinbarung zu beschäftigungssichernden Personalmaßnahmen ist ein Schritt in die richtige Richtung, ebenso wie die zwischen Firmenleitung, IG Metall und Gesamtbetriebsrat vereinbarte Unzulässigkeit betriebsbedingter Kündigungen bis 2010. Nun fordert der Gesamtbetriebsrat Standort- und Beschäftigungsgarantien und den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen über 2010 hinaus - einschließlich der bestehenden Standort- und Beschäftigungsgarantie in den Tarifvertraglichen Sondervereinbarungen.

Arbeitszeitverkürzung hat sich bereits in den letzten Monaten als das bestgeeignete Mittel zur Arbeitsplatzsicherung erwiesen. Flexible Arbeitszeitregelungen sollen daher voll ausgeschöpft und gegebenenfalls erweitert werden. Eine wiederauzunehmende Debatte über Arbeitszeiten soll Vertrauensarbeitszeit und Mehrarbeit auf den Prüfstand stellen sowie neue Möglichkeiten für Teil- und Altersteilzeit prüfen. Die Rente mit 67 schließlich bezeichnet der Gesamtbetriebsrat als Irrweg, der aufgegeben werden muss.

Mit Blick auf die Qualifizierung und Ausbildung in der Krise betont der Gesamtbetriebsrat, dass die Betriebe gerade in beschäftigungsarmen Zeiten Betrieben Qualifizierungspläne erstellen und umsetzen müssen. Wichtig ist daneben die Ausbildung und Übernahme junger Menschen, da nur eine ausgewogene Beschäftigtenstruktur aus jungen und erfahrenen Mitarbeitern die Zukunft des Unternehmens sichern kann.

Nachhaltigkeit durch Mitbestimmung, Innovation und interne Wertschöpfung

Um der die nachhaltige Entwicklung zu fördern, fordert der Gesamtbetriebsrat mehr Mitbestimmung für die Arbeitnehmer, etwa bei strategischen Investitionen sowie Standortverlagerungen und -schließungen. Die Unterordnung unter die Finanzmärkte soll einer Ausrichtung an langfristigen Zielen weichen, die sich an nachhaltigen, sozialen und ökologischen Kriterien sowie der Sicherung von Arbeitsplätzen orientiert.

Statt nur kurzfristig wirksamer Kostensparprogramme der Erhalt und Ausbau der Innovationsführerschaft sowie der Ausbau der internen Wertschöpfung die Zukunft Siemens' sichern. Als Beispiel nennt das Positionspapier die zweifelhaften Verlagerungen bei den Global Shared Services: "Hier wird gespart ohne Ende, egal ob es den Mitarbeitern Belastungen und Probleme bringt. [...] Hiermit muss endlich Schluss sein!" Innovative Produkte, Lösungen und Service nahe am Kunden sollen statt dessen Marktanteile gewinnen: "Eine flächendeckende Vertriebs- und Serviceorganisation ist der Garant für einen nachhaltigen Geschäftserfolg aller Sektoren und Divisionen. Das Modell Siemens One muss gestärkt und proaktiv umgesetzt werden."

Da die alten Lösungsmuster in der Krise unverkennbar nicht mehr funktionieren, setzt sich der Gesamtbetriebsrat für kreative, unkonventionelle Modelle ein - sei es bei den Arbeitszeiten, variablen Einkommensbestandteilen, oder dem Einbeziehen der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in die Gestaltung von Prozessabläufen.

Siemens' stets betonte gesellschaftliche Verantwortung darf sich gerade in der Krise nicht auf Lippenbekenntnisse beschränken. Der Gesamtbetriebsrat kritisiert, dass soziale Leistungen kurzfristigen EBIT-Zielen geopfert werden. Lob gibt es in diesem Zusammenhang für die Entscheidung des Vorstands, 250 zusätzliche Ausbildungsplätze für benachteiligte Jugendliche zu schaffen; auch die Aufnahme von Verhandlungen für die Verbesserung der Beschäftigung von Schwerbehinderten, gegen ausufernde Leiharbeit, für Equal Pay für Leiharbeiter sowie für eine Welt-Betriebsvereinbarung stoßen auf ausdrückliche Zustimmung: "Diese Vereinbarungen wären wegweisend fürs Unternehmen, besonders auch in der Krise."

Gesellschaftliche Verantwortung auch und gerade in der Krise

Das Positionspapier unterstreicht erneut die Forderung nach einem "New Deal" bei Siemens. Der Interessengegensatz zwischen Kapital und Arbeit ist zwar systemimmanent und grundsätzlich unauflöslich, dennoch sind die Beschäftigtenvertreter überzeugt: "Wir müssen und wollen im Unternehmen damit umgehen und gemeinsame Lösungen zur Überwindung der Krise finden." Der "New Deal" in der Zusammenarbeit zwischen Firmenleitung, IG Metall, Gesamtbetriebsrat und örtlichen Betriebsräten soll alte Rituale und Rollenmuster überwinden. An ihre Stelle sollen offene und ehrliche Kommunikation, frühzeitige Einbeziehung von Gesamtbetriebsrat und örtlichen Betriebsräten vor Firmenentscheidungen, sowie eine klare und einheitliche strategische Orientierung der Sektoren treten.

Menschen im Mittelpunkt

Abschließend wiederholt der Gesamtbetriebsrat die übergeordnete Leitlinie, auf deren Grundlage Siemens nach die Krise offensiv überwinden kann: "Es sind die Menschen, die das Unternehmen Siemens ausmachen. Die Ideen, Wünsche, Erfahrungen und Leistungen der Menschen sind der Mittelpunkt des Unternehmens. Wirtschaft ist kein Naturprozess, sondern wird von Menschen gesteuert und beeinflusst. Wirtschaft hat den Bedürfnissen der Menschen zu dienen."

Das Positionspapier des Gesambetriebsrates der Siemens AG können Sie als PDF über untenstehenden Link (Positionspapier-GBR-2009.pdf) herunterladen.