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29.03.2024, 11:03 Uhr

Grundsätze beteiligungsorientierter Betriebsratsarbeit

  • 15.02.2011
  • Allgemein

Ein Gastbeitrag der Betriebsratsliste mitEINANDER im Stammhaus Erlangen G analysiert die Grundsätze - Anforderungen, Methoden und Konsequenzen - beteiligungsorientierter Betriebsratsarbeit.

Nachfolgend der Beitrag im Original:


In der Betriebsratsarbeit geht es darum, eine der jeweiligen Situation sowie den jeweils Beteiligten angemessene Lösung zu finden.
Die beteiligungsorientierte Betriebsratsarbeit stellt den Dialog mit den Beschäftigten in den Mittelpunkt ihrer Politik.
Sie erweitert damit die Arbeit der Vertrauensleute, erhöht deren Qualität und schafft Mobilisierungsmöglichkeiten für neue Themenfelder.

In Einzelfällen
• Beteiligungsorientierte Betriebsratsarbeit beginnt damit, dass der einzelne Betriebsrat den jeweils betroffenen Kollegen bzw. Kollegin anhört, bevor er entscheidet.

Es ist zwar verlockend, die eigene Sichtweise zum Maßstab aller Dinge zu machen, aber in den beim Betriebsrat anhängigen Themen sehen die Kolleginnen und Kollegen in der betroffenen Abteilung wichtige Details anders als die Führungskräfte oder Personalabteilung.

• Darüber hinaus heißt beteiligungsorientierte Betriebsratsarbeit konsequent die Informationen und Meinungen anderer nutzen, die im konkreten Fall näher dran sind oder über mehr Erfahrung verfügen als man selbst. Solche KollegInnen gibt es immer.

Wer gezielt unterschiedliche Meinungen abfragt und sich nicht nur mit immer denselben Kollegen unterhält, erhält ein realeres Bild der Situation und kann einen Lösungsvorschlag machen, den die Kollegen in der Abteilung mittragen und der in der Auseinandersetzung mit dem Management Bestand hat.

Diese Vorgehensweise ist nur am Anfang zeitaufwendiger. Gut vorbereitet ist die Durchsetzung wesentlich leichter. Die Arbeit macht mehr Spaß und es erspart voreilig getroffene Entscheidungen nachträglich zu rechtfertigen; meistens mit Argumenten, die sowieso nur wenige glauben.
In jedem Fall ist dieses Vorgehen erfolgreicher - im Betriebsrat, beim Management und bei den KollegInnen.

Bei gemeinsamen Themen
Wenn zu viele KollegInnen von einem Thema betroffenen sind, wird man mit der oben genannten Vorgehensweise allein nicht mehr zurecht kommen. Die Grundsätze der beteiligungsorientierten Betriebsratsarbeit bleiben jedoch die gleichen.

In diesen Fällen haben wir zunächst ein oder zwei Fragen formuliert und die betroffenen KollegInnen um ihre Meinung dazu gebeten. Die Fragen können zunächst allgemein formuliert sein. Im Laufe der Gespräche mit KollegInnen werden sich automatisch konkretere Punkte herausschälen, die in den dann folgenden Gesprächen gezielt hinterfragt werden können:

Im Dschungel der Meinungsvielfalt findet man sich erstaunlich gut zurecht, wenn man sich in den betroffenen Arbeitsgebieten und Situationen einigermaßen auskennt.
Dann lernt man schnell zu unterscheiden zwischen Meinungen, die ausschließlich von persönlichen Interessen Einzelner bestimmt sind und solchen, in denen die Situation der Abteilung insgesamt beleuchtet und bewertet wird. Diese Meinungen sind nicht so unterschiedlich; sie beleuchten meist nur unterschiedliche Aspekte des gleichen Themas. Dabei hilft es, Vertrauensleute oder Fachleute hinzuzuziehen, die ggf. auch in anderen Abteilungen mit  vergleichbaren Situationen oder Aufgaben zu tun haben oder hatten.

Wichtig ist es, die befragten KollegInnen immer wieder mit den Meinungen, Analysen und Lösungsvorschlägen anderer Kolleginnen ihres Bereiches zu konfrontieren. Auf diese Weise gelingt es schnell, Gemeinsamkeiten festzuhalten und die Kernpunkte zu benennen. So entstehen Analysen einer Situation und Lösungen zu ihrer Verbesserung, die von dem überwiegenden Teil der betroffenen Kolleginnen und Kollegen geteilt werden.

Aufgabe des Betriebsrats ist es, die Gemeinsamkeiten schriftlich festzuhalten. Um die Richtigkeit bzw. Dringlichkeit der gefundenen Ergebnisse und Lösungen zu bewerten, um ihnen Nachdruck zu verleihen und um auch die ggf. persönlich nicht befragten KollegInnen zu Worte kommen zu lassen, empfiehlt sich ein Fragebogen, in dem jeder der Betroffenen seine persönliche Meinung dazu eintragen kann.

Mit der Veröffentlichung der Ergebnisse treten zwei Effekte auf:
Zum einen sind die KollegInnen in der Regel selbst überrascht, wie weit verbreitet ihre persönliche Meinung zu diesem Thema ist.
Zum anderen trauen sich danach viele diese Meinung auch dem Management gegenüber offensiver zu vertreten. Schließlich geht es um eine Verbesserung der Arbeitssituation in der Abteilung, die man nicht mehr als individuelles Problem eines einzelnen „Querulanten“ abtun kann.

Damit ist aus individueller Kritik und vereinzelten Meinungen eine gemeinsame Handlungsperspektive entstanden, die auch dem Betriebsrat neue Handlungsfelder eröffnet.

In der Praxis haben wir damit gute Erfahrungen gemacht, auch wenn die Beratungen mit der Firma im Ergebnis sehr unterschiedlich waren. Spektakuläre Erfolge haben wir in einem Fall erreichen können. Aber auch in allen anderen Fällen hat es - in unterschiedlicher Weise - Bewegung in Richtung „unserer“ Forderungen gegeben.

Bilanz

Die konsequente Einbeziehung (Coaching) der Kolleginnen und Kollegen - in Einzelfällen wie auch bei der Formulierung von Alternativen und ihrer Durchsetzung - entscheidet über den Erfolg dieser Arbeit.
Betriebsräte agieren dabei eher als Coach, Anwalt, Berater und Unterstützer der KollegInnen und nicht als ihre co-managenden Stellvertreter.

Wer an großen Rädern dreht, braucht einen langen Atem. Um nachhaltig erfolgreich zu sein, werden wir die Themen über einen längeren Zeitraum verfolgen und immer wieder auf eine Umsetzung der gemeinsam erarbeiteten Ergebnisse dringen müssen. Die dazu gewonnene breite Unterstützung der betroffenen Kolleginnen und Kollegen wird uns dabei sehr nützlich sein.

Wichtig für eine erfolgreiche Umsetzung dieser Betriebsratsarbeit sind Betriebsratsmitglieder, die sich in den Arbeitsgebieten der jeweiligen Betriebsratseinheit aus eigener Erfahrung auskennen und im beteiligungsorientierten Projektmanagement ausgebildet sind.

Beteiligungsorientierte Betriebsratsarbeit

- macht das Unternehmen erfolgreicher und die Arbeitsplätze sicherer
Die beteiligungsorientierte Betriebsratsarbeit stellt die Erfahrungen und Meinungen der Mitarbeiter den Entscheidungen der Manager gegenüber. Sie konfrontiert die Management-Welt der Zahlen und Folien mit der realen Welt der Mitarbeiter. Sie fordert die Manager auf, Alternativen zu prüfen. Sie drängt dazu, Managemententscheidungen realitätstauglicher und erfolgreicher zu machen.
Sie verbessert die Kommunikation zwischen Management und Mitarbeiter. Sie setzt auf die im Vergleich zu anderen Ländern bestehenden Stärken, baut diese weiter aus und sichert so Arbeitsplätze in Deutschland.

- ist gelebte innerbetriebliche Demokratie
Die Umsetzung unternehmerischer Entscheidungen ist umso erfolgreicher, je mehr die Entscheidungen von den Mitarbeitern akzeptiert werden. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille.
Beteiligungsorientierte Betriebsratsarbeit aktiviert die Mitarbeiter selbst. Zu einem Zeitpunkt, in dem Verantwortung immer mehr auf den Einzelnen übertragen wird, eröffnet sie den Mitarbeitern neue Möglichkeiten, ihre Interessen gemeinsam zu vertreten.

Beteiligungsorientierte Betriebsratsarbeit

- erweitert die Mitbestimmung auf demokratische Weise.
- schafft neue innerbetriebliche Mobilisierungsmöglichkeiten.
- erhöht das Interesse an der Betriebsratsarbeit - auch in den Mitarbeiterbereichen, in denen die Betriebsräte bislang noch viel zu wenig verankert sind.

Beteiligungsorientierte Betriebsratsarbeit ist eine Win-Win-Situation für Unternehmer, Mitarbeiter und Betriebsrat.

- ist die Betriebsratsarbeit des 21. Jahrhunderts
Es war eines der Erfolgsgeheimnisse unserer Betriebsrats- und Gewerkschaftsarbeit im gewerblichen Bereich, dass diese Arbeit von engagierten und anerkannten Kollegen aus dem Kreis der Facharbeiter (Vorarbeiter, Gruppenleiter und Arbeitsvorbereiter, ...) geprägt wurde. Im Angestelltenbereich sind wir von entsprechenden Vertretungsstrukturen noch ein gutes Stück entfernt. Wenn wir das nicht ändern, werden das andere für uns übernehmen (Vereinigung Cockpit, Fluglotsen- oder Lokführergewerkschaft, Hartmannbund der Ärzte, ... oder AUB und andere „Unabhängige“).
Die beteiligungsorientierte Betriebsratsarbeit ist der richtige Weg, um die Stärken unserer Vergangenheit für die Zukunft zu sichern.

Beteiligungsorientierte Betriebsratsarbeit erweitert die Deutungshoheit in wirtschaftlichen An-gelegenheiten auf die Experten und Erfahrungsträger aus dem Mitarbeiterkreis. Sie trägt dazu bei, dass die Wirtschaft wieder mehr den Menschen dient statt umgekehrt.

(mitEINANDERErlG)