Siemens Dialog
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20.04.2024, 00:04 Uhr

"Guter Startschuss"

  • 03.02.2005
  • Allgemein

Wenn in der Siemens-Zentrale eine Entscheidung fällt, greift ein Manager zum Telefon oder schickt ein E-Mail, und die Umsetzung beginnt - vielleicht nicht immer gänzlich ohne Reibungsverluste, aber weltweit. Einheitliche Strukturen und Informationskanäle sowie standardisierte Prozesse sorgen dafür, dass die zentral festgelegte Richtung eines Service- oder Vertriebsbüros in Budapest nicht wesentlich von der einer Niederlassung in Deutschland abweicht, und ein Osram-Werk in den USA unterliegt im Prinzip den selben Bedingungen wie eines in Deutschland.

Ganz anders die Organisation der Arbeitnehmervertretung: Unterschiedliche Rahmenbedingungen - ob politisch, gesetzlich, sozial oder historisch bedingt - machen die grenzüberschreitende Kooperation meist zu einem Geduldsspiel mit ungewissem Ausgang. Darunter leidet die Effektivität, Gewinner ist die Arbeitgeberseite.

Um den Grundstein für ein globales Netzwerk von Betriebsräten und Gewerkschaften bei Siemens zu legen und dem Ungleichgewicht so langfristig ein Ende zu machen, veranstaltete das Siemens Team der IG Metall Ende Januar ein Treffen internationaler ArbeitnehmervertreterInnen des Siemens-Konzerns. Fazit eines britischen Teilnehmers nach zwei Tagen: „Wenn das hier sich weiterentwickelt, hat das Siemens-Management Grund zur Sorge.“

Neben Deutschland waren Delegationen aus Italien, England, Österreich, Tschechien, Norwegen, Dänemark und den USA vertreten, außerdem ein Vertreter des Internationalen Metallarbeiterbunds aus Genf. Bereits bei der kurzen Skizzierung der jeweiligen Situation in den einzelnen Ländern zeigt sich, wie groß die Differenzen sind. Sowohl Wolfgang Müller, Leiter des Siemens Teams, als auch der Vorsitzende des Siemens Europa-Betriebsrats (SEC, Siemens European Committee) Werner Mönius stellten dar, wie begrenzt daher die bereits bestehende Basis für koordinierte Maßnahmen über Landes- und Bereichsgrenzen hinweg sind. Ein zusätzliches Hindernis stellt die faktische Konkurrenz bei Bemühungen um das Halten bzw. Ansiedeln von Betrieben dar, speziell bei Verlagerungsbewegungen in die osteuropäischen (EU-)Länder.

In Siemens’ Heimatland Deutschland, so stellte der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats Ralf Heckmann dar, steht eine ganze Reihe möglicher Probleme im Raum: Im Rahmen von Shared Services läuft die Verlagerung von immer mehr zentralen Buchhaltungs-Funktionen nach Prag bzw. Asien; bei COM werden weitreichende technische Entwicklungen zunehmend weniger Arbeitsinhalt und Service erfordern; in der Verkehrstechnik führen nicht nur technische Probleme, sondern auch (wie überall) das Konzept der „Globalen Wettbewerbsfähigkeit” zu Druck auf die Beschäftigten; Siemens-VDO steht wie alle Zulieferer der Autoindustrie unter starkem Preisdruck. Bei Interessenkonflikten und Auseinandersetzungen zwischen der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite hält sich Siemens streng an die Gesetze und Vorschriften - aber geht in der Regel keinen Millimeter darüber hinaus.

In Großbritannien gibt es auf gewerkschaftlicher Ebene praktisch keine Koordinierung der Siemens-Standorte, eine Vernetzung muss von Fall zu Fall von den betroffenen Betreuern aufgebaut werden. Dazu gibt es mehrere zuständige Gewerkschaften, aber keine Betriebsräte; der Organisationsgrad ist mit in der Regel deutlich über 50 Prozent dennoch hoch. Eine Pflicht zur Information besteht von Seiten Siemens nicht, das Management gibt Informationen nur auf Nachfrage preis.

In Italien findet eine Konzentration der zu Siemens gehörenden Firmen mit rund 10.000 Beschäftigten statt. Die Arbeitsbeziehungen sind nicht sehr gut, zudem ist das Management bestrebt, die Arbeiterräte und Gewerkschaften auseinander zu bringen. Der Organisationsgrad beträgt ca. 13 Prozent, unter anderem, weil Siemens in Italien einen hohen Angestelltenanteil beschäftigt. Gesetzliche Vertretungsgremien gibt es in allen Werken, außerdem besteht ein Koordinierungsgremium der verschiedenen Gewerkschaften.

Gewerkschaften und Betriebsräte in Tschechien tun sich auf Grund der sozialistischen Vergangenheit schwer, die ArbeitnehmerInnen von der Notwendigkeit gemeinsamen Handelns zu überzeugen, erklärte Jiri Hanak. Wenige seien bereit, sich für ihre Rechte einzusetzen, statt dessen sei man oft froh, überhaupt eine Arbeit bei einem Konzern wie Siemens zu haben - solidarisches, mit ausländischen Gewerkschaften koordiniertes Vorgehen etwa bei Fragen der Verlagerung sei daher kaum denkbar, zumal auch hier das Management bereits mit Verlagerung zum Beispiel in die Ukraine droht. Der durchschnittliche Lohn liegt bei 600 bis 700 Euro.

In Skandinavien ist die wirtschaftliche Gesamtlage bei Siemens befriedigend, Norwegen etwa verbuchte das beste Jahr in der Unternehmensgeschichte. Das skandinavische Management hat zu großen Teilen gewechselt und scheint sich nun stärker als früher an den Zielen des Siemens Management Systems zu orientieren, so dass der Dialog zum Teil wieder neu aufgebaut werden muss. Die Gewerkschaften und die Siemens-Bereiche sind relativ gut vernetzt, ein Organisationsgrad von 100 Prozent bei gewerblichen Arbeitnehmern und rund 95 Prozent bei Angestellten tut ein übriges, um auch den Kontakt zu Politikern zu erleichtern. Dennoch sind die Gewerkschaften bestrebt, ihr Netzwerk weiter zu verbessern.

Die Landesgesellschaft Österreich ist wirtschaftlich stabil, die Geschäftsentwicklung positiv. Das Klima zwischen Arbeitnehmervertretung und Vorstand ist gut, wenngleich der Personalaufwand gemessen am Umsatz um 4,6 Prozent gesunken ist. Der Organisationsgrad beträgt bei den beiden zuständigen Gewerkschaften 100 (GMT, Gewerkschaft Metall Textil, Arbeiter) www.metaller.at bzw. zwischen 40 und 75 Prozent (GPA, Gewerkschaft der Privatangestellten). www.gpa.at Beide Gewerkschaften arbeiten seit Jahren gut zusammen.

Die Lage in den USA unterscheidet sich deutlich von der in den europäischen Ländern. Die Bush-Regierung übt seit ihrem Amtsantritt direkten und indirekten Druck auf die Arbeitnehmer und ihre Vertretungen aus und fördert die Interessen der Unternehmen. Historisch gewachsene Strukturen sind kaum vorhanden, die Gewerkschaftslandschaft äußerst inhomogen. Eine Vielzahl von Organisationen arbeitet mit großen regionalen und lokalen Unterschieden nebeneinander, bei Siemens etwa die Communication Workers of America (CWA), cwa-union.org die einige Siemens-Standorte organisiert haben; andere Betriebe bleiben weiße Flecken auf der gewerkschaftlichen Landkarte. Ähnlich sieht es bei der International Brotherhood of Electrical Workers (IBEW) www.ibew.org aus, die sich unter anderem bei der Siemens-Tochter Osram engagiert. Heftiger Widerstand kommt dabei vom Management; ein Vertreter der Gewerkschaft führte den Seminarteilnehmern ein Video vor, das auf Rat der eigens beauftragten so genannten „Union Busters“ gedreht wurde, um gegenüber den Beschäftigten jede gewerkschaftliche Organisation zu verteufeln - auf einem Niveau, das für europäische Betrachter stark an unfreiwillige Satire erinnert.

Information als erster Schritt

Die Teilnehmer waren sich einig, dass trotz aller Schwierigkeiten jede Anstrengung unternommen werden muss, um die Arbeitnehmerseite des Global Players Siemens besser zu koordinieren. Wie die Berichte der einzelnen VertreterInnen zeigten, ist grenzüberschreitende Information und Kommunikation der erste Schritt, um einen wesentlichen Vorteil des Management aufzuholen: Nur bei gleichem Wissensstand und einer Schnittstelle zu Arbeitnehmern des anderen Landes kann man in multinationalen Fragen erfolgversprechend mit dem Management in Diskussionen und Verhandlungen eintreten.

Wie der SEC-Vorsitzende Mönius zusammenfasste, ist mit dem Seminar ein „guter Startschuss“ gemacht; nun gilt es, unter anderem über die Plattform des Siemens Dialogs den Informationsfluss zu verbessern und, bevor der nun entstandene Initiativ-Schwung sich wieder verlangsamt, in den nächsten ein weiteres Treffen zu organisieren.