Siemens Dialog
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18.04.2024, 06:04 Uhr

"In Einzelfällen etwas überzogenes Selbstbewusstsein"

  • 29.06.2010
  • Allgemein

Chief Financial Officer Joe Kaeser äußert sich ungewöhnlich nachdenklich zu vergangenen Fehlentscheidungen in Siemens' Vorstandsetage - man möchte sich wünschen, dass diese Nachdenklichkeit auch bei aktuellen Entscheidungen nicht verlorenginge. Außerdem erhält der ironische alte Spruch von Siemens als 'Bank mit angeschlossenem Elektroladen' neue Nahrung.

Kritischer Rückblick: Joe Kaeser.

"Unternehmerische Defizite" ...

In einem Interview mit der "<link http: www.sueddeutsche.de wirtschaft joe-kaeser-im-gespraech-erst-siemens-dann-die-teile-1.966399 _blank external-link-new-window>undefinedSüddeutschen Zeitung" blickt Kaeser auf die tiefgreifenden Veränderungen zurück, die Siemens durchmachte, seit er seine Karriere im Unternehmen begann. "Die Welt hat sich verändert, und wir uns mit ihr. Siemens war in Teilen vielleicht damals auch nicht überall in der Lage, alle Geschäftsfelder dauerhaft zu einem Erfolg zu machen. Das mag in Einzelfällen auch an etwas überzogenem Selbstbewusstsein gelegen haben." Als Beispiel dient die Telekommunikation, in der Siemens immer wieder vorgeworfen wurde, Entwicklungen versäumt zu haben; Kaeser kommt in diesem Zusammenhang "unweigerlich der Gedanke an unternehmerische Defizite in den Sinn."

... "nicht immer die allerbesten Ergebnisse" ...

Es folgten die bekannten Umwälzungen erst durch Heinrich von Pierers Zehn Punkte-Programm, dann durch das Nachfolgeprogramm 'Operation 2003' und schließlich unter Klaus Kleinfeld ab 2005 'Fit-4-More'. Kaeser erinnert sich: "Vielen bei Siemens war das wegen der etwas unvermittelten Konkretheit der Verantwortung doch etwas unheimlich. Anderen ging es immer noch nicht weit genug. Man konnte überall im Unternehmen spüren, wie die verändernden und bewahrenden Kräfte miteinander rangen, nicht immer mit den allerbesten Ergebnissen."

... und Entscheidung "retrospektiv als die falsche erwiesen"

Die betriebswirtschaftlichen Aspekte wurden dann durch die Korruptionsaffäre in den Hintergrund gedrängt, die der CFO als "natürlich extrem - für das Unternehmen und alle seine Mitarbeiter" bezeichnet. Und auch das Debakel der Insolvenz der ehemaligen Handy-Sparte BenQ Mobile räumt er heute offen ein: Es habe "in Deutschland ebenfalls einen großen Rufschaden verursacht, auch wenn unsere Absicht damals natürlich eine ganz andere war. [...] Die Entscheidung hat sich retrospektiv als die falsche erwiesen."

Mehr Kontrolle über das Bankgeschäft

Von den Wirtschaftmedien wird allerdings eine andere Information Kaeser mit sehr viel mehr Interesse bedacht als die Rückblicke auf frühere Fehlentwicklungen. Kaeser schließt sich indirekt und mit vornehmer Zurückhaltung der Kritik an dem in weiten Teilen unkontrollierten Treiben der Banken an: "Man kann im heutigen, in Teilen immer noch intransparenten regulatorischen Umfeld in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn Banken in Schwierigkeiten geraten. Dabei ist es dann irrelevant, wer es verschuldet hat."

Siemens jedenfalls will solche im Zusammenhang mit der Finanzkrise entstandenen Turbulenzen - "ich hatte nach der Lehman-Pleite auch Tage und Nächte, wo ich unter anderem wegen der Werthaltigkeit unserer Sicherungsderivate die Luft anhielt" - nicht noch einmal riskieren und plant bei der Vorbeugung selbstbewusst, zu klotzen statt zu kleckern. Eine eigene Bank soll es ermöglichen, mehr Kontrolle in der eigenen Hand zu behalten. Dazu ist eine Banklizenz bereits bei der Aufsichtsbehörde Bafin beantragt; wird die erteilt, eröffnen sich neue Perspektiven, erklärt Kaeser: Man könne dann zum einen das Produktspektrum der Financial Services im Bereich der Absatzfinanzierung mit den eigenen Kunden erweitern. Zum anderen könne man selbst Einlagen bei der Bundesbank vornehmen und neue Finanzierungsquellen erschließen: "Das könnten wir in Zukunft eben dann selbst mitgestalten. Es ist ja auch wirklich kein Hexenwerk."

Das Auftragswachstum ist wieder da

Abschließend bestätigt Kaeser, was auch Peter Löscher seit kurzem relativ offen durchblicken lässt. Im dritten Quartal scheint das Auftragswachstum wieder bei Siemens einzukehren, und das Ergebnis entwickelt sich "weiter ordentlich". An letzterem dürfte auch der niedrige Euro-Kurs seinen Anteil haben. Ein Wechselkurs um rund 1,20 US-Dollar stärke die europäische Wettbewerbsfähigkeit deutlich, so Kaeser, und: "Auch für Siemens ist ein starker Dollar gut."