Siemens Dialog
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25.04.2024, 05:04 Uhr

SEN: Fünf Jahre Überlebenskampf

  • 08.12.2011
  • Konzern

Im Juli 2006 gliederte Siemens seinen COM-Bereich aus und suchte für die Einzelteile neue Strukturen. BenQ stürzte schnell ab, Nokia Siemens Networks begann einen steten Sinkflug. Die Siemens Enterprise Communications GmbH wurde zum Verkauf angeboten, 2008 übernahm die Gores Group die Mehrheit. Der Gesamtbetriebsrat blickt zum fünften Jahrestag auf den "Überlebenskampf" seit 2006 zurück.

Nachfolgend einige Auszüge aus der Mitarbeiterinformation des Gesamtbetriebsrats, die derzeit in den Betrieben verteilt wird.

Frühjahr 2007: Der Gesamtbetriebsrat muss sich mit der Verlagerung der Call-Annahme und Teilen des Level 1 Remotes nach Indien auseinandersetzen. Von Anfang an kritisiert er, dass die Unzufriedenheit der Kunden das Geschäft nachhaltig beschädigen werde. Demgegenüber spricht die GSI-Leitung anfangs sogar davon, dass die Qualität in Indien besser als in Deutschland sei.

August 2007: Die Geschäftsleitung teilt den Personalabbau von 606 Mitarbeitern bis zum Jahresende mit. Elf Monate nach Ausgründung der SEN aus der SAG werden auf Antrag der IG Metall durch Beschluss des Amtsgerichts München die Arbeitnehmervertreter des Aufsichtsrates bestellt. Aufgrund der Führungskrise in der SAG zog sich diese Bestellung über Monate in die Länge.

Dezember 2007: Gesamtbetriebsrat und IG Metall fordern ein schlüssiges Gesamtkonzept für die SEN und eine Sanierung unter Regie der Siemens AG.

Februar 2008: Die Geschäftsleitung verkündet, dass über 2.000 Kolleginnen und Kollegen ihren Arbeitsplatz verlieren und weitere 1.200 durch Auslagerungen und Verkäufe von der Siemens-Gehaltsliste verschwinden sollen. An verschiedenen Standorten protestieren daraufhin viele Beschäftigte der SEN in Demonstrationen und Kundgebungen gegen diese Maßnahmen.

April 2008: Die seit Monaten laufenden Sozialplanverhandlungen werden abgeschlossen. Ergebnis: Personalabbau von 1.240 Stellen in Deutschland. Streitpunkt ist insbesondere der von Siemens angekündigte zusätzliche Abbau von bis zu 800 weiteren Stellen, der erst nach dem Verkauf erfolgen soll. Der Gesamtbetriebsrat stimmt diesem Paket erst zu, nachdem die Anwendung und Finanzierung der ausgehandelten Bedingungen auch für die davon betroffenen Beschäftigten gewährleistet wurde.

Juli 2008: Die SAG vereinbart die Gründung eines Joint-Ventures mit dem Finanzinvestor „The Gores Group“. Gores übernimmt ab 1.10.2008 mit 51% Anteil die geschäftliche Führung der SEN. Die SAG hält noch 49%.

Oktober 2008: Die alte Geschäftsführung der SEN wird ausgetauscht. Der Gesamtbetriebsrat und die IG Metall sehen realistische Chancen für die Zukunft des Unternehmens und die Beschäftigten.

Februar 2009: Gores nutzt die im Interessenausgleich vom April 2008 festgelegte Möglichkeit, sich von weiteren 800 Beschäftigten zu trennen. Die Wirtschaftskrise hat dieses Vorhaben nur beschleunigt.

April 2009: Der Interessenausgleich und Sozialplan für den Personabbau 800 sind unter Dach und Fach. Die Bedingungen sind bis auf das fehlende Altersteilzeitangebot nahezu identisch.

August 2009: Der Gesamtbetriebsrat macht auf Probleme in der SEN aufmerksam. Er benennt die Führungskrise in der SEN. U.a. hat sich das weltweit verantwortliche Senior Executive Team (SET) um die Hälfte reduziert. Arbeitsdirektor Rainer Koppitz ist weg. Mark Stone hat die Geschäfte übernommen.  Als gleichzeitiger Aufsichtsratsvorsitzender der SEN GmbH kontrolliert er sich nun selbst. Gleichzeitig gibt es im Service 3.000 offene Tickets, aus Personalmangel können Systeme nicht mehr in Betrieb genommen werden. Kunden warten wochenlang auf Angebote.

Mai 2010: Die Geschäftsleitung unterzeichnet das Dokument zur Verhandlungsbereitschaft über die Gründung eines Europäischen Betriebsrates für die SEN.

Oktober 2010: Eine neue Vertriebsstruktur für SEN Deutschland tritt in Kraft. Nach gerade einmal zwei Jahren unter der Gores-Führung ist die üppige Mitgift der Siemens AG soweit abgeschmolzen, dass die SEN für die Finanzierung des weiteren Geschäftsverlaufs und Restrukturierungsmaßnahmen 200 Mio. € Fremdkapital zu Wucherzinsen (12%) aufnimmt.

November 2010: Die SEN Geschäftsführung kündigt weiteren Personalabbau von 400 Beschäftigten an. Desweiteren soll die halbe Servicemannschaft (372 Beschäftigte) an Servicepartner ausgegliedert werden. Der Gesamtbetriebsrat und die IG Metall kritisieren die weiteren Sanierungsmaßnahmen. Gefordert werden u.a. ein überzeugendes zukunftsfähiges Geschäftsmodell und Produktpolitik, ergebnissichernde Strategie beim Ausphasen noch ertragreicher Produkte und Dienstleistungen, Priorität auf Prozessoptimierung statt Kopfzahlstreichung sowie eine Stärkung der Qualifizierungsoffensive.

Februar 2011: Ein Interessenausgleich und Sozialplan wird für den Personalabbau von 323 Beschäftigten vereinbart. Wie in den Jahren zuvor handelt es sich um freiwillige Aufhebungsvertragsangebote mit und ohne Wechsel in eine Transfergesellschaft (beE).

März 2011: IG Metall und Gesamtbetriebsrat können in einem Kompromiss erreichen, dass die Ausgliederung von insgesamt 372 Arbeitsplätzen im Service vorerst - bis zum 1. April 2012 - nicht wirksam wird. Als Gegenleistung wird die anstehende Tariferhöhung von 2,7 Prozent um ein halbes Jahr auf den 1.10.2011 verschoben.

Mai 2011: Die Geschäftsleitung fordert die Mitarbeiter zur Unterstützung bei der Suche nach Auszubildenden auf. Sie erhalten dafür eine Werbeprämie. Die Einstellzahlen von Auszubildenden liegen mittlerweile wieder auf dem Niveau von 2007. Dies soll auch in 2012 fortgesetzt werden.

Fazit: Nach fünf Jahren SEN ist die Mannschaft in Deutschland nahezu um die Hälfte, auf heute 3350, reduziert worden. Jährliche bis zuweilen halbjährliche Organisationsänderungen verunsichern die Beschäftigten. Das Management ist an vielen Stellen ausgetauscht worden. Der Turn-around mag laut Hamid Akhavan im EBITDA geschafft sein, in Bezug auf den Auftragseingang jedoch nicht. Die größte Herausforderung wird sein, in den Zukunftsmärkten zu wachsen. Die SEN ist immer noch in der Konsolidierungsphase. Man darf gespannt sein wie die neuen Vertriebskonzepte wirken. Ein weiterer Personalabbau würde das Überleben auf keinen Fall sichern.