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25.04.2024, 18:04 Uhr

Krankschreibung: Vertrauen statt Verdächtigen

  • 16.11.2012
  • Allgemein

Das Bundesarbeitsgericht entschied diese Woche, dass Arbeitgeber von Beschäftigten schon am ersten Tag einer Erkrankung ein ärztliches Attest verlangen können. Das Urteil bestätigt eine eindeutige, aber wenig bekannte gesetzliche Regelung - die Auswirkungen in der betrieblichen Praxis bleiben wohl eher gering.

Dümmlicher Generalverdacht in Buchform - die Realität sieht deutlich pragmatischer aus (Cover: Ratgeberverlag).

Verbreitete Fehlannahme

<link http: dejure.org gesetze entgfg _blank external-link-new-window dejure>undefinedParagraph 5 Entgeltfortzahlungsgesetz schreibt es glasklar vor: "Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, hat der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung [...] vorzulegen. Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung früher zu verlangen." Das BAG widerlegt also mit seinem <link http: juris.bundesarbeitsgericht.de cgi-bin rechtsprechung _blank external-link-new-window>undefinedUrteil nur die weit verbreitete Fehlannahme, für die ersten drei Kankheittage bestehe auch auf Verlangen des Arbeitgebers keine Nachweispflicht. Da diese Regelung nicht neu ist, steht kaum zu erwarten, dass die Unternehmen nur wegen des aktuellen Urteils plötzlich flächendeckend ihre internen Regelungen umstellen.

Keine Folgen bei Siemens, Telekom & Co.

DAX-Unternehmen wie Siemens und die Telekom bestätigten auf Anfrage von Journalisten bereits, ihre gewohnte Praxis beizubehalten, nach der im Normalfall ein Attest nach drei Tagen ausreicht. Dafür spricht auch gleich eine ganze Reihe guter Gründe. Zu strenge Nachweispflichten treiben Aufwand und Kosten nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die Unternehmen selbst in die Höhe, ganz zu schweigen von den Krankenkassen. Gleichzeitig steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Krankheitstage nach dem Motto "Wenn schon zum Arzt, dann auch gleich richtig krankschreiben" zunehmen.

Signal des Misstrauens

Innerbetrieblich würde eine Umstellung der gängigen Praxis vor allem ein gefährliches Signal des Misstrauens setzen. Ein Unternehmen gäbe seinen Beschäftigten auf diese Weise zu verstehen, dass es ihnen generell einen Hang zum "Blaumachen" unterstellt oder zumindest die Fähigkeit abspricht, selbst über kleinere Erkrankungen zu entscheiden. Wertschätzung und damit auch Motivation der Belegschaft sieht anders aus.

Diese Einschätzung setzt sich offenbar mehrheitlich nicht nur in den Unternehmen durch, sondern auch in den Medien. Die "Financial Times Deutschland" etwa, nicht für übertriebene Arbeitnehmernähe bekannt, schloss einen Leitartikel dazu mit einem Hinweis, der so auch vom DGB stammen könnte: "Der Krankenstand sollte besser durch eine betriebliche Gesundheitsvorsorge reduziert werden - etwa durch kostenlose Impfungen oder Gesundheitskurse. Jeder eingesetzte Euro zahlt sich da mehrfach wieder aus."