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23.04.2024, 19:04 Uhr

"Kultur der sozialen Verantwortungslosigkeit"

  • 05.09.2007
  • Allgemein

In Nordrhein-Westfalen läuft seit Mitte August die Kampagne "Gleiche Arbeit, gleiches Geld", mit der sich die IG Metall gegen den Missbrauch von Leiharbeit stellt. Bezirksleiter Detlef Wetzel fasst die Situation und den daraus resultierenden Handlungsbedarf in einem Gastkommentar für die "Financial Times Deutschland" zusammen.

Vom Start weg stieß die <link http: netkey40.igmetall.de homepages bezirksleitung-nrw start gleichearbeit-gleichesgeld.html _blank>Kampagne auf reges Interesse, handelt es sich doch um ein Thema, dessen Problematik zunehmend einer breiten Öffentlichkeit bewusst wird. Dass Wetzel seit dem Beschluss des IG Metall-Vorstands am Montag (siehe Neues Führungsteam vorgeschlagen) als künftiger Zweiter Vorsitzender der IG Metall gilt, verleiht seinem <link http: www.ftd.de meinung kommentare _blank>Beitrag in der FTD vom Mittwoch zusätzliches Gewicht - gut für das Anliegen, endlich dem Missbrauch der Leiharbeit als Ersatz für reguläre Beschäftigung den dringend nötigen Riegel vorzuschieben.

"Geisterfahrer" in Sachen Leiharbeit

Wie Wetzel feststellt, kann nur die Politik "diese Kultur der sozialen Verantwortungslosigkeit beenden. Erste Anzeichen für ein Umdenken gibt es - nun müssen Taten folgen." In anderen europäischen Ländern ist dies längst geschehen: "In den meisten anderen europäischen Ländern sind die Grundsätze von 'Equal Pay' und 'Equal Treatment' unumstrittene Praxis. [...] Die europäische Straße der Arbeitsbeziehungen ist in dieser Hinsicht also schon ganz ordentlich ausgebaut, mit den Werten Sicherheit und Fairness als Leitplanken. Anders ist es in Deutschland. Solide Leitplanken fehlen hier, und es sind Geisterfahrer unterwegs."

Von regulär zu prekär

In der Tat öffnen mangelnde Regelungen in Deutschland dem Missbrauch zu Lasten aller Beschäftigten Tür und Tor. Leih- und Zeitarbeiter werden hier für die selben Aufgaben fast durchgängig deutlich schlechter bezahlt als reguläre Mitarbeiter, bisweilen beträgt die Kluft zwischen beiden Gruppen bis zu 50 Prozent. Als wäre dieser Zustand nicht schon bedenklich genug, so Wetzel weiter, nutzt etwa die Hälfte der Unternehmen mit Leiharbeitnehmern dieses Instrument, um die regulär Beschäftigten schrittweise zu ersetzen. Das Ergebnis dieser Praxis: "Nicht selten wird einem zuvor Entlassenen kurze Zeit später der frühere Arbeitsplatz mit einem neuen Vertrag als Leiharbeitnehmer angeboten, dann zu deutlich verschlechterten Konditionen. Statt um faire Wege zu gesteigerter Flexibilität geht es in diesen Unternehmen schlicht und einfach allein um steigende Rendite auf Kosten gleicher Bezahlung und sicherer Arbeit. Und diese Unternehmen umgehen auch noch jegliches Risiko: Leiharbeitskräfte werden geholt, wie es der tägliche Bedarf gerade erfordert."

Zu Lasten von Gesellschaft und Zukunft

Das unternehmerische Risiko verlagert sich auf diese Weise auf die Leiharbeitnehmer, deren Einkommen aber meist so niedrig liegt, dass man kaum davon leben kann. Reicht es dazu nicht mehr, trägt am Ende die Solidargemeinschaft die Last: "Die Gemeinschaft der Beitrags- und Steuerzahler wird von diesen Unternehmen gleich mit zur Kasse gebeten. Denn solche Löhne machen eine Lohnaufstockung nach Hartz IV erforderlich, um eine Familie ernähren zu können. Und für Rentenbeiträge, die vor Altersarmut schützen, reichen die Einkommen auch nicht." Dass obendrein auch noch die doch immer wieder von Unternehmerverbänden und Politik so dringend eingeforderte Weiterbildung unter den Verhältnissen leidet, ist da nur noch ein weiterer Minuspunkt: "Mit der geschilderten Praxis bleiben zugleich die notwendigsten Weiterbildungsinvestitionen in den Unternehmen auf der Strecke. Die Betriebe setzen auf die Zeitarbeitsunternehmen, die ihnen die benötigten Arbeitskräfte liefern anstatt selbst in die Qualifizierung der Beschäftigten zu investieren. [...] Diejenigen aber, die ihm [dem Standort Deutschland] am meisten schaden, klagen am lautesten über fehlende Fachkräfte und die angeblich mangelnde Flexibilität in den Arbeitsmärkten."

Endlich handeln: Gleiche Arbeit - gleiches Geld

Abschließend appelliert Wetzel angesichts dieser Situation, den Grundsatz "Gleiche Arbeit - gleiches Geld" zu unterstützen, mit Betriebsräten, Belegschaften und IG Metall für faire Bedingungen beim Einsatz von Leiharbeitnehmern und die Begrenzungen dieser Einsätze zu streiten. Ersten Anzeichen für ein Umdenken in der Politik müssen nun Taten folgen: "mit einem veränderten Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, das die Türen für den Missbrauch von Zeitarbeit, für den Ersatz regulärer Beschäftigung durch Leiharbeitnehmer und für Lohndumping dauerhaft schließt. Nur so kann der gesicherte Rahmen geschaffen werden, der bei akzeptierten Flexibilitätserfordernissen in den Firmen Leiharbeit zu fairen Bedingungen ermöglicht."