Siemens Dialog
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25.04.2024, 21:04 Uhr

Mit allen Mitteln gegen die Mitbestimmung

  • 19.08.2005
  • Allgemein

Friedrich Merz, inoffizielle CDU-Speerspitze für radikalen Neo-Liberalismus, lehnt sich mit neuen Vorschlägen gegen die Mitbestimmung nicht nur weit, weit aus dem Fenster, er springt gleich ganz hinaus. Und zwar mit Anlauf.

Der gelernte Jurist ist bekannt dafür, bei seinen schlagwortartigen Äußerungen kein Blatt vor den Mund zu nehmen - das verleiht Profil und kommt gut an bei der Klientel aus Unternehmern und ihren Verbänden. Nach seinem Abgang aus der CDU-Spitze kann er nun, ungehindert von lästiger Rücksicht auf Parteidiplomatie, weiter das Image des unbequemen Vordenkers in Sachen Radikalreform polieren. Neuestes Glanzstück: Ein ebenso oberflächlicher wie polemischer Schienbeintritt gegen die Mitbestimmung im allgemeinen und Arbeitnehmervertreter im besonderen. Hätte <link http: www.friedrich-merz.de _blank>Merz jemals in einem der Mittelstandsunternehmen gearbeitet, als deren Sprachrohr er sich gern andient, könnte man fast vermuten, ihn habe dort einmal irgend ein Betriebsrat persönlich schlecht behandelt und so die Saat für eine bemerkenswerte Abneigung gelegt.

In einem Interview mit der <link http: www.neue-oz.de _blank>Neuen Osnabrücker Zeitung wirft Merz munter alles, was irgendwie nach Gewerkschaft riecht, in einen Topf und fordert energisch, freigestellte Betriebsratsmitglieder künftig nicht mehr vom Arbeitgeber, sondern per Umlage von allen Beschäftigten bezahlen zu lassen. Bei diesem Modell nach österreichischem Vorbild könne die Belegschaft entscheiden, „wie viele freigestellte Betriebsratsmitglieder sie benötigt und was die ihr wert sind“, was praktischerweise gleich auch noch für größtmögliche Transparenz sorge. Dann kommt die pauschale Diffamierung: „Das derzeitige System lädt dagegen geradezu ein zur Vorteilsgewährung“, gefolgt von einer höchst suggestiven, wenn auch sachlich falschen Unterstellung: Dass der DGB zwar die Offenlegung von Managergehältern verlange, aber die Veröffentlichung der Einkommen von freigestellten Betriebsratsmitgliedern ablehne, lege die Vermutung nahe, unter dem Schutzmantel dieser „Intransparenz“ bereicherten sich die Arbeitnehmervertreter. Der Ansatz geht gleich in mehrfacher Hinsicht daneben:

+ Zum Ersten werden auch in Österreich freigestellte Betriebsräte mitnichten von den Beschäftigten finanziert: „Herr Merz sollte sich vorher besser informieren“, meldete sich prompt Stefan Maderner, Leiter des Referats Betriebsarbeit beim <link http: www.oegb.at _blank>Österreichischen Gewerkschaftsbund. Auch in Österreich werde der Lohn der freigestellten Betriebsräte selbstverständlich vom Arbeitgeber bezahlt.

+ Zum Zweiten gilt in Österreich wie in Deutschland ganz einfach, dass Betriebsräte, freigestellt oder nicht und tariflich oder nicht, weiter ihr ganz normales Entgelt enthalten - es gibt keine geheimnisvoll-intransparente, besondere Gehaltstabelle, in die Betriebsräte nach ihrer Wahl neu eingestuft würden. Will Merz also gelegentlich mal wissen, was so ein Betriebsrat eigentlich verdient, reicht in aller Regel der Blick in die entsprechende Tariftabelle; zugegeben, um mit diesem Umstand vertraut zu sein, ist es hilfreich, schon einmal tariflich bezahlt beschäftigt gewesen zu sein.

+ Drittens bezieht sich die Ablehnung einiger DGB-Gewerkschaften auf die Veröffentlichung der Bezüge ihrer Vorstände, die ohnehin keineswegs von den Unternehmen bezahlt werden. Das jedoch ist nicht mehr und nicht weniger „intransparent“ als üblich und gilt ebenso für, sagen wir, Dr. Wilfried Sahm, den Hauptgeschäftsführer des <link http: www.vci.de _blank>Verbandes für Chemische Industrie, für den Merz von 1986 bis '89 tätig war. Beispielsweise.

Bleibt die Frage, warum Merz vor lauter Eifer zuweilen auf nachgerade absurde Art versucht, die "demokratische Mitsprache" in den Betrieben zu beschneiden (Maderner) oder besser noch gleich ganz abzuschaffen. Darüber kann man trefflich spekulieren: Seinen Einfluss in der CDU hat man ihm gründlich zurückgestutzt; nun hat es nicht einmal für einen Platz im „Kompetenzteam“ gereicht, was vermuten lässt, dass es auch in einer eventuellen Regierung Merkel keinen Logenplatz für das nicht sonderlich bescheidene Ego Merz’ geben wird. Als Wirtschaftsanwalt und Partner der international renommierten Sozietät <link http: www.mayerbrownrowe.com lawyers _blank>Mayer, Brown, Rowe & Maw vertritt er unter anderem die Interessen von besonders aggressiven Hedge Fonds wie der britischen TCI, die unter anderem im vergangenen Mai gründlich die Deutsche Börse AG aufmischten. Diesen Fonds ist die deutsche Mitbestimmung ein Dorn im Auge, weil Arbeitnehmervertreter sich in Aufsichtsräten tendenziell im Interesse der Beschäftigten gegen spekulative Hau-Ruck-Geschäfte einsetzen; das räumte sogar Siemens’ Arbeitsdirektor Dr. Jürgen Radomski ein, der sich gewöhnlich selbst eher wenig begeistert über Einflussnahme der Beschäftigtenvertretung zeigt (vergl. SiemenSianer 01, August 05).