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18.04.2024, 17:04 Uhr

Nach unten keine Grenze

  • 29.07.2010
  • Allgemein

- was mit Bezug auf Löhne in Deutschland fast zynisch klingt, ist das Fazit einer Untersuchung des Instituts für Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg zur Niedriglohnbeschäftigung. Weder Sittenwidrigkeitsgrenze noch Branchen-Mindestlöhne begrenzen die Ausdifferenzierung des Lohnspektrums wirksam: "Daher ist ein gesetzlicher Mindestlohn auch in Deutschland unverzichtbar."

Stundenlöhne unter fünf Euro brutto

Mit einer <link http: www.iaq.uni-due.de archiv presse _blank external-link-new-window iaq>undefinedPressemitteilung stellte das Institut am Dienstag seinen <link http: www.iaq.uni-due.de iaq-report report2010-06.php _blank external-link-new-window>undefinedReport zur Niedriglohnbeschäftigung vor. Der Anteil der Niedriglohnbezieher ist demnach bundesweit konstant hoch geblieben, während gleichzeitig das Lohnspektrum zunehmend nach unten "ausfranst". Konkret bedeutet das: "Für Stundenlöhne unter 6 Euro (brutto) arbeitete 2008 gut ein Drittel der Geringverdiener. 1,15 Millionen verdienten sogar weniger als 5 Euro."

Immer mehr Betroffene

Der "Ausdifferenzierung der Löhne", wie die Wissenschaftler das "Ausfransen" neutraler nennen, sind nach unten kaum Grenzen gesetzt. Das ist in Deutschland so, aber nicht etwa überall: "So niedrige Entgelte werden in vielen anderen Ländern durch gesetzliche Mindestlöhne unterbunden." Und die Zahl der Betroffenen ist in den vergangenen Jahren weiter gestiegen: "Waren es 2006 noch gut 6,31 Millionen, stieg die Zahl zwei Jahre später um mehr als 220.000 an auf 6,55 Millionen Beschäftigte."

Längerfristig, nämlich seit 1998, sieht es nicht besser aus. Die Zahl der Niedriglohnbeschäftigten stieg um fast 2,3 Millionen, so dass gut jeder fünfte Beschäftigte betroffen war. Analog wächst die Menge derer, die weniger als ein Drittel des mittleren Lohns erhalten – im Jahr 2008 waren das Stundenlöhne unter 4,75 Euro in West- und 3,42 Euro in Ostdeutschland.

Mindestlohn unverzichtbar ...

Schutzargumente von der Regelung unterhalb eines gesetzlichen Mindestlohns entkräften die Wissenschaftler mit wenigen Worten: "Weder die Sittenwidrigkeitsgrenze noch branchenbezogene Mindestlöhne können die Ausdifferenzierung des Lohnspektrums wirksam begrenzen." Sie halten daher einen gesetzliche Mindestlohn auch in Deutschland für unverzichtbar, der beispielsweise bei einer Höhe von 8,50 Euro nach ihren Berechnungen bundesweit über 18 Prozent der Beschäftigten beträfe (Westdeutschland 15%, Ostdeutschland 35%). Relativ am Niveau gesetzlicher Mindestlöhne anderer europäischer Ländern orientiert müsste in Deutschland ein gesetzlicher Mindeststundenlohn zwischen 5,93 und 9,18 Euro eingeführt werden.

... spätestens im Mai 2011

Im Mai 2011 kommt die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU verschärfend hinzu. Experten rechnen damit, dass dann osteuropäische Firmen mit Stundenlöhnen um die drei Euro auf den Markt drängen - wenn nicht beizeiten eine gesetzliche Grenze gezogen wird. In der Union keimt dafür derzeit das Verständnis, wenngleich das Arbeitministerium nach wie vor nichts davon wissen will. Die FDP weist ihrerseits entsprechende Überlegungen hartnäckig zurück und hantiert mit der Behauptung, ein Mindestlohn gefährde Aufschung und Arbeitsplätze. Mit dieser Argumentation allerdings steht sie zunehmend einsam da: Selbst Joachim Möller, Direktor des Forschungsinstiturs der Bundesagentur für Arbeit (IAB), konstatiert angesichts der explodierenden Leiharbeit, eine Untergrenze von rund sieben Euro sei "beschäftigungspolitisch unschädlich".