Siemens Dialog
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24.04.2024, 14:04 Uhr

Ohne Kampfmaßnahmen niemals erreichbar

  • 05.02.2010
  • Konzern

Was im Sektor Industry derzeit schlimmstenfalls tausenden Beschäftigten droht, haben die Ex-Siemensianerinnen von mdexx schon hinter sich. Ausgegliedert und verkauft wurden sie mit Plänen für Abbau und Verlagerung von Stellen in ein tschechisches Schwesterwerk konfrontiert. Belegschaft, Betriebsrat und IG Metall wehrten sich. Der Betriebsratsvorsitzende fasst den Konflikt rückblickend zusammen.

Erst am neunten Dezember 2009 wurde mit der Unterschrift auf dem Sozialplan ein Schlussstrich unter die lange und harte Auseinandersetzung in Bremen gezogen. Herbert Strosetzky (Foto), der mdexx-Betriebsratsvorsitzende, äußerte sich Ende Januar 2010 in einem ausführlichen <link http: www.dielinke-bremen.de nc politik aktuell detail zurueck bremennews artikel der-arbeitskampf-bei-mdexx-interview-mit-dem-betriebsratsvorsitzenden-herbert-strosetzky _blank external-link-new-window linke>Linke BremenInterview auf der Website der Bremer Linken. Nachfolgend einige Auszüge:

[...] Wir bewerten dieses Ergebnis [insgesamt] als großen Erfolg, das ohne unsere monatelangen Kampfmaßnahmen niemals erreicht worden wäre. Aber in Jubel bricht da keiner aus. Die mögliche Schließung des ehemaligen Traditionsbetriebes von Siemens nach 2012 und der Verlust von rund 500 industriellen Arbeitsplätzen ist einfach bitter. Siemens hat in den vielen Verhandlungen keinen Zweifel daran gelassen, dass es eine weitere Transformatorenfertigung in Bremen nicht mehr will. Die Summe von 17,2 Millionen für die Abfindungen und die Transfergesellschaft ist gigantisch, das sind eben Normen, die im Siemenskonzern noch gelten. Das hätte ein Mittelständler niemals darstellen können. Das konnte nur der große Konzern im Hintergrund, auch wenn er längst nicht mehr Eigentümer war und sich durch den Verkauf an die Heuschrecke CGS aus der operativen Verantwortung rausgezogen hatte.

Die Auseinandersetzungen eskalierten dann schnell...

Ja, und zwar erheblich. Die IG Metall, bei uns immer vertreten durch Peter Stutz, hat schon am 21. Oktober zum ersten Warnstreik, dem dann weitere folgten, aufgerufen. Und wir als Betriebsrat haben permanent unsere unterbrochene Betriebsversammlung fortgeführt. Danach ging das nur noch Warnstreik, Betriebsversammlung, Warnstreik, Betriebsversammlung usw. Zum Schluss haben wir noch so etwas organisiert, das wir "Industrie-Camping" genannt haben, weil die Leute mit Liegen und Camping-Stühlen gekommen und auch Nachtwachen vor dem Werkstor und in den Hallen organisiert haben. Es bestand nämlich der nicht unbegründete Verdacht, dass schon mit dem Abtransport von Anlagen nach Tschechien begonnen werden sollte. [...]

Wie hat die Öffentlichkeit auf eure Aktionen reagiert?

Da können wir uns wirklich nicht beklagen. Ganz wichtig war natürlich die Solidarität und die Delegationen aus den anderen Bremer Metall-Betrieben [...] dann die Vertreter der IG Metall, Dieter Reinken, 1. Bevollmächtigter vom Bezirk Bremen und Jutta Blankau, Bezirksleiterin der IG Metall Küste aus Hamburg waren hier und haben während der Warnstreiks vor den Beschäftigten gesprochen. Durchweg alle Medien einschließlich der Bild-Zeitung haben ausführlich und überwiegend positiv über unseren Kampf mit der Heuschrecke und mit Siemens berichtet. [...]

Aber was steckt eigentlich dahinter? Ein Betrieb, der noch bis Oktober 2008 immer schwarze Zahlen geschrieben hat und mit Kurzarbeit, Arbeitszeitverkürzungen und dem üblichen Instrumentarium durch die Krise kommen könnte, ist doch nichts Schlechtes für einen Kapitalisten und Investor! [...]

Dahinter steckt im Grunde der Siemens-Konzern mit seiner ganz bestimmten Portfolio-Politik. Siemens ist sehr breit aufgestellt und ist in den letzten Jahren dabei, sich von Produkten und Produktlinien zu trennen, die es nicht mehr für zukunftsträchtig hält oder wo man meint, an einem anderen Standort etwa in Tschechien oder China noch billiger produzieren zu können. Also fing man an, eine ganze Reihe von Siemens-Betrieben zuerst rechtlich zu verselbständigen, dann Teile der Produktion nach kostengünstigeren Standorten zu verlagern und die Betriebe schließlich ganz zu verkaufen. Das ist ja einer ganzen Reihe von Betrieben so gegangen. [...] Dabei muss man wissen, dass solche Verkaufs- und Verlagerungsentscheidungen häufig völlig willkürlich sind und einer genaueren betriebswirtschaftlichen Analyse nicht standhalten. Es ist nämlich keinesweg sicher, ob an den neuen Standorten nun tatsächlich mit niedrigeren Kosten produziert wird. Man weiß zwar häufig, dass die reinen Arbeitskosten dort niedriger sind, aber wie das mit der Produktivität und der Qualität aussieht, ist eine ganz andere Frage. [...]

Aber den Imageschaden, den fürchtet das große deutsche Traditionsunternehmen, die Siemens AG?

Das kann mal wohl sagen. Das ist ja der Grund, warum die Drecksarbeit der Verlagerungen und Entlassungen den neuen Eigentümern überlassen wird. Aber wir haben mit unseren Aktionen Siemens hier nicht aus der Verantwortung entlassen. Und wir haben damit auch einen Teilerfolg erzielt. Wenn das nicht gelungen wäre, hätte das hier noch ganz anders ausgesehen. [...]

Der Betriebsrat, beraten durch die IG Metall und unterstützt auch von eigenen Rechtsanwälten und betriebswirtschaftlichen Sachverständigen, hat in diesem Arbeitskampf eine ganze Menge angeregt und vorgeschlagen, was man tun könnte und müsste, um den Standort Bremen mit seinen Arbeitsplätzen zu erhalten. Es ist alles abgelehnt und abgeschmettert worden, weil diese "Portfoliobereinigung", wie es im Managerdeutsch heißt, völlig komprimisslos durchgezogen werden sollte und schließlich ja auch durchgezogen wurde. Sind mehr Mitbestimmungsrechte für den Betriebsrat und für die Belegschaft die richtige Forderung?

Ja klar, auf jeden Fall. Es ist ja gerade die Crux, dass wir als Betriebsräte keine Mitbestimmung in wirtschaftlichen Dingen haben. Auch ohne den Abschluss eines Sozialplanes wäre die Betriebsänderung umgesetzt worden. [...] Wir hatten natürlich auch keinen genauen Einblick in die wirkliche Produktivität der verschiedenen Standorte. Oder an welchem Standort Qualitätsmängel ausgebügelt werden mussten. Oder, was auch vorgekommen ist: am Standort in Tschechien wird produziert und in Bremen müssen Teile wegen Qualitätsmängel nachbearbeitet werden. Wo werden dann die Kosten verbucht? [...]

Was die Geschäftsleitung uns vorgelegt hat, um die Verlagerung zu begründen, das waren immer nur Wischi-waschi-Zahlen, die wir nie wirklich nachprüfen konnten. Auch natürlich unsere Sachverständigen nicht, weil auch sie an die wirklich wichtigen und interessanten Zahlen nicht rankamen. [...] Hätte der Betriebsrat ein wirkliches Mitbestimmungsrecht in wirtschaftlichen Fragen, auch bei einer Verlagerung und der Betriebsschließung, und hätte der Betriebsrat ein Recht auf unverfälschte Informationen über die Kostenstrukturen, dann hätte die Entscheidung ganz anders ausgesehen. Dann hätte nach meiner Überzeugung der mdexx hier in Bremen mit schwarzen Zahlen weitergeführt werden können. Hier ist also ganz klar die Politik gefordert, um das Mitbestimmungsrecht zu verbessern. Solange das nicht geschieht, sitzen die jeweiligen Eigentümer und ihr Management einfach am längeren Hebel.


Das vollständige Interview finden Sie <link http: www.dielinke-bremen.de nc politik aktuell detail zurueck bremennews artikel der-arbeitskampf-bei-mdexx-interview-mit-dem-betriebsratsvorsitzenden-herbert-strosetzky _blank external-link-new-window linke>Linke Bremenauf der Website der Bremer Linken.