Siemens Dialog
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28.03.2024, 14:03 Uhr

Rechtsfreier Raum im Münchener Süden?

  • 25.12.2007
  • Konzern

Kurz vor der endgültigen Zusammenlegung der Betriebe von Siemens und SIS kommt die AUB-Mehrheit des Perlacher SIS-Betriebsrats auf seltsame Gedanken und hält, im Gegensatz zu allen anderen Beteiligten, Betriebsratsneuwahlen nicht für erforderlich. Dadurch droht eine Art rechtsfreier Raum - Beobachter sprechen ironisch von "Guantanamo in München".

Die Idee: Es bestehe auch weiter kein einheitlicher Betrieb; die mögliche Folge: Wird am 1. Januar 2008 tatsächlich nicht die Betriebsratsneuwahl eingeleitet, ist schlimmstenfalls bis aus weiteres überhaupt kein Betriebsrat für die jetzigen Siemens-Beschäftigten zuständig - eine Art betriebsverfassungsrechtsfreier Raum.

Was steckt hinter dieser Entwicklung? Im Alleingang, gestützt auf ein augenscheinlich eilig nach Bestellung zusammengestoppeltes Gutachten, stemmt sich die bei SIS in Perlach nach wie vor eine einsame Mehrheit haltende AUB gegen Neuwahlen. Die Motive liegen auf der Hand: Mit Blick auf die vergangenen Monate, die rasante Talfahrt der "Unabhängigen" und nicht zuletzt auf die kompromisslose Distanzierung des Siemens-Managements von ihnen dürfen die AUB-Kandidaten selbst in einer ehemaligen Hochburg nicht mehr ohne weiteres von einer sicheren Mehrheit ausgehen.

Flucht nach vorn

Und ergreift wohl daher mit der bizarren Notlösung die Flucht nach vorn. Äußerst unsolide ist schon die Argumentation: Das erwähnte Gutachten führt als maßgeblich an, es liege in Perlach auch nach der firmenseitigen Zusammenführung zum 31.12.2007 kein einheitlicher Betrieb vor. Dafür gebe es zwar "eine wesentliche Voraussetzung", nämlich die einheitliche Leitung, die Betriebe verfolgen jedoch nach Ansicht des AUB-Anwalts "vollkommen unterschiedliche arbeitstechnische Zielsetzungen".

Integration von Strukturen und Zielen - "Nein danke"?

Richtig gelesen: Die AUB-Betriebsräte vertritt den kuriosen Standpunkt, SIS und Siemens AG verfolgten nach der Zusammenlegung völlig unterschiedliche Ziele. Dabei ignorieren sie nicht etwa "nur" die Überzeugung ihrer Siemens-Kollegen am Standort, sondern auch den zwischen Siemens AG und Siemens-Gesamtbetriebsrat geschlossenen Interessenausgleich zur Integration von SIS in die Siemens AG.

Entsprechend zeigt sich auch deren Personalbearbeitung leicht irritiert von der Information, manche fühlten sich bei SIS in Perlach auch in Zukunft als eigener Betrieb: Auf Rückfrage erklärte der zuständige Manager, die "aus unternehmerischer Sicht sinnvolle Festlegung der Betriebsstrukturen ist nach Überprüfung nicht zu beanstanden. Die notwendigen Voraussetzungen für einen einheitlichen Betrieb sind unseres Erachtens seitens der Firmenleitung geschaffen."

Besser wissen aus Prinzip

Das aber scheint man bei den AUB-Betriebsräten von SIS Südbayern besser zu wissen als die Firmenleitung, und beharrt auf einem nicht-einheitlichen Betrieb. Es dürfte interessant werden, was man auf den zuständigen übergeordneten Ebenen davon hält, dass eine einzelne Betriebsratsfraktion das gesamte Konzept der SIS-Integration besser zu verstehen glaubt, als diejenigen, die es entwickelt, verhandelt, geplant und durchgesetzt haben. Man erinnert sich: SIS soll eigentlich aus seiner wenig rosigen Marktlage der vergangenen Jahre geholt werden, indem man seine übergeordnete IT-Kompetenz mit der jeweiligen Branchenkompetenz der Geschäftsfelder kombiniert. Dafür kristallisierte sich in der neuen Struktur der Begriff "Querschnittsfunktion" heraus - ob das wohl funktioniert, wenn die ehemalige SIS Südbayern gemäß der Vorstellungen ihrer AUB-Betriebsräte "wie bisher getrennt voneinander die unterschiedliche arbeitstechnische Zielsetzung verfolgt"? Wenn es "keine gegenseitigen Unterstützungshandlungen geben" wird?

Schwerlich. Und deshalb dürfte es beim verantwortlichen Management wohl kaum bei hochgezogenen Augenbrauen bleiben. Bis jedoch eine Lösung des Problems der quergestellten "Unabhängigen" gefunden ist, sind im Zweifel die Beschäftigten die Dummen, wie die IG Metall-Fraktion des Siemens-Betriebsrats am Standort besorgt ausführt: Ihre AUB-Kollegen riskieren "mit der angekündigten Vorgehensweise [...], dass unsere SAG-Kolleginnen und -Kollegen ab dem 01.01.08 in personellen Einzelmaßnahmen oder kollektivrechtlichen Angelegenheiten keine juristisch belastbare Vertretung durch einen Betriebsrat haben." Der Siemens-Betriebsrat selbst nämlich hat ab Januar hierfür keine Legitimation mehr.

Interessenvertretung ja - aber wessen?

Es bleibt zu hoffen, dass man sich bei den AUB-Verantwortlichen nicht nur der peinlichen Fadenscheinigkeit der eigenen Argumentation bewusst wird, sondern auch der Risiken und Nebenwirkungen für die Beschäftigten. Und nicht zuletzt der grundlegenden Verantwortung für deren Interessen, die für jeden Betriebsrat an oberster Stelle stehen sollten.