Siemens Dialog
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29.03.2024, 14:03 Uhr

Topp-Manager als "Freiwild"?

  • 04.08.2008
  • Allgemein

Die Schadensersatzforderungen an die frühere Unternehmensspitze von Siemens sorgen seit ihrer Ankündigung in der vergangenen Woche für Aufsehen. Das ist nicht erstaunlich: Der in der Wirtschaft nie dagewesene Vorgang erschüttert ein Fundament deutscher Unternehmenskultur.

Die Mehrheit der insgesamt elf Manager, auf die Forderungen Siemens' wegen möglicher Pflichtverletzungen zukommen, hüllt sich in Schweigen und überlässt die Reaktion ihren vermutlich bestens qualifizierten Rechtsbeiständen.

Heinrich von Pierer, der als jahrelanger "Mr. Siemens" naturgemäß besonderes Interesse auf sich zieht, ließ seinen Anwalt mitteilen, er habe die Entscheidung "mit großer Betroffenheit und Bedauern zur Kenntnis genommen" und werde sich gegen sie zur Wehr setzen; er fühle sich zu Unrecht in Anspruch genommen und werde zu gegebener Zeit eine Klageabweisung beantragen.

Sein Amtsnachfolger als CEO und jetzige Chef des US-Aluminiumriesen erklärte, er habe viel Vertrauen in die deutsche Gerichtsbarkeit, sei keineswegs beunruhigt und sehe einer Schadensersatzklage daher "gelassen" entgegen.

"Großes Lamento"

Wesentlich aufgeregter reagieren die Kommentatoren diverser Wirtschaftsmedien. "Vorstände als Freiwild" befürchtet etwa der "<link http: www.focus.de finanzen news oezgenc_oekonomie siemens-vorstaende-als-freiwild_aid_321521.html _blank external-link-new-window>undefinedFocus": Siemens stelle "bislang unbescholtene Manager öffentlich an den Pranger", mache sie "de facto zu Tätern" und erkläre sie "zum Freiwild". Die "<link http: www.ftd.de meinung kommentare :leitartikel_symbolische_show_bei_siemens _blank external-link-new-window>undefinedFinancial Times Deutschland" wittert hinter den Forderungen vor allem eine "symbolische Show", die davon ablenke, "auch die Rolle des Aufsichtsrats in der Schmiergeldaffäre sauber aufzuarbeiten"; dabei übersieht man, dass zumindest von Pierer - entgegen empfohlener Corporate Governance - nahtlos vom Vorsitz des Vorstands an den des Aufsichtsrats wechselte.

Deutlich weniger achtungsvoll vor vermeintlichen oder wirklichen Eliten nimmt sich die "<link http: www.sueddeutsche.de wirtschaft text _blank external-link-new-window>undefinedSüddeutsche Zeitung" des Themas an, zu dem sie - wie sich herausstellt berechtigt - ein "großens Lamento der Manager-Magazine" prognostizierte. Der Kernsatz bringt es auf den Punkt: "Die Zivilklage gegen Pierer & Co. ist also nicht Ausdruck von Missgunst, Rachsucht und Sündenbock-Suche. Sie entspricht schlicht der geltenden Rechtslage. Wer einen Schaden rechtswidrig verursacht, der muss dafür haften."

Gleiches Maß für alle

In der Tat horcht man wohl vergebens nach empörter Kritik, wenn ein "normaler" Angestellter seine Pflichten grob fahrlässig oder gar vorsätzlich verletzt und dafür in Regress genommen wird. Was die Gemüter erhitzt, ist unverkennbar vor allem der Nimbus derjenigen, die Siemens auf diese Weise behandelt: Die Aushängeschilder der Wirtschaft genießen, zumindest in den Augen vieler, Sonderrechte ähnlich denen von Sport- und Show-Stars.

Und so ist man von Topp-Managern daran gewöhnt, dass sie im Falle auch folgenschwerer Fehler mit einer großzügigen Abfindung ihren Posten räumen, um sogleich an einer vergleichbaren Stelle wieder ähnlich komfortabel weiterzumachen. Es muss schon ganz schlimm kommen, damit mal jemand wirklich zur Kasse gebeten wird. Dies könnte nun anders werden.

Darin den Anfang vom Ende des risikofreudigen und daher potenziell erfolgreichen Managers zu sehen, geht weit an der Realität vorbei: Was Siemens einfordert, sind nicht die Kosten riskanter Management-Entscheidungen, sondern der dafür, unumstritten rechtswidriges Verhalten nicht verhindert zu haben. Mit Sozialneid, "Opfern" für die US-Börsenaufsicht und "Freiwild" hat das nichts zu tun.