Siemens Dialog
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16.04.2024, 23:04 Uhr

Treffen der US-Gewerkschaften zu Siemens

  • 11.09.2017
  • Konzern

Im Gegensatz zu Deutschland sind bei Siemens in den USA mehrere Gewerkschaften vertreten. Ende Mai trafen sich fünf davon in Phoenix. Im Fokus standen die Vereinbarung zum Gewerkschaftszugang zu Siemens-Betrieben und weitere Schritte der Gewerkschaften.

An dem Treffen nahmen betriebliche und hauptamtliche Vertreter der Gewerkschaften IBEW, USW, IUE-CWA, IAM und UAW aus den USA und Kanada teil. Deutschland war durch den SEC-Vorsitzenden Harald Kern und Dirk Linder vertreten, der im Siemens Team der IG Metall für Internationales zuständig ist. Firmenseitig waren zu einzelnen Themen Lee Vickers (Senior Director von HR Siemens USA), sein designierter Nachfolger Fran Argentieri sowie weitere Vertreter von HR anwesend.

Randy Middleton (IBEW) begrüßte die Teilnehmer und stellte die hauptverantwortlichen Anwesenden der fünf vertretenen US-Gewerkschaften vor. Neben ihm selbst waren dies John Shinn (USW), Todd Viars (IUE-CWA), Craig Norman (IAM) und Mark Haasis (UAW). Middleton erläuterte Hintergrund und Entstehungsgeschichte des „Memorandum of Understanding“, das Ende Oktober 2016 mit Siemens für die USA vereinbart wurde.

Vickers machte Ausführungen zur Geschäftsentwicklung von Siemens in den USA und betonte das deutliche Wachstum USA in den letzten Jahren. Mit einem Jahresumsatz von 23 Mrd. Dollar liegt Siemens in den USA auf Rang 126 der größten Unternehmen. Aus den USA wurden zuletzt Produkte im Wert von 5,4 Mrd. Dollar exportiert, die Zahl der Beschäftigten liegt bei 50 000. Siemens hat ca. 60 Fertigungsstätten in den USA und hat dort in den letzten fünf Jahren 35 Mrd. Dollar investiert. Insgesamt hängen 800 000 Arbeitsplätze in den USA von Siemens ab

Vickers erwähnte die Akquisitionen von Dresser-Rand und Rolls-Royce Energy bei der Division „Power and Gas“. Die Fertigung des Standorts Mount Vernon (Ohio; ehemals Rolls-Royce) (vertretene Gewerkschaft: IAM) wird auf andere Standorte verteilt. Aus Wellsville (New York; ehemals Dresser-Rand) (vertretene Gewerkschaft: IAM) soll die Dampfturbinenfertigung nach Burlington (Iowa; ehemals Dresser-Rand) (vertretene Gewerkschaft: IAM) verlagert werden. Zu dieser Division sagte er noch, dass das Service-Geschäft die Profitabilität stabilisiert.

Bei der Division „Energy Management“ wächst das Geschäft. Der Standort Grand Prairie in Texas (Dallas/Fort Worth) (vertretene Gewerkschaft: IBEW) wurde zuletzt erweitert und hat Produktion vom Standort West Chicago (Illinois) übernommen. Das Geschäft von „Building Technologies“ wächst seit mehr als 15 Jahren. In den USA wurden zahlreiche sehr bekannte Gebäude durch Siemens ausgerüstet. Auch bei der Division „Mobility“ sah er Wachstum, besonders stark wächst die Division „Digital Factory“. „Process Industries and Drives“ hat Einbrüche aufgrund des gesunkenen Öl- und Gaspreises, „Financial Services“ hingegen ist hochprofitabel. Ertragreichster Bereich von Siemens in den USA ist „Healthineers“.

Zur gewerkschaftlichen Repräsentanz sagte Vickers, dass mit ca. 3 500 Beschäftigten ungefähr 20 % der „Blue Collar“-Beschäftigten von Siemens in den USA durch insgesamt zehn Gewerkschaften vertreten werden (außer IBEW, USW, IUE-CWA, IAM und UAW auch noch FISU, IUOE, UBC, UA und BRS).

Ein Gewerkschaftsvertreter aus Kanada regte den Abschluss einer vergleichbaren Zusatzvereinbarung, wie sie für Siemens in den USA abgeschlossen wurde, auch für Kanada an. Eine Gewerkschaftsvertreterin eines von Rolls-Royce übernommenen Standorts (Montréal) kritisierte, dass nicht alle Regelungen des Rolls-Royce-Tarifvertrags von Siemens übernommen wurden, dies aber nie offen erklärt wurde. Für einzelne Beschäftigte hatte dies in Notlagen gravierende Auswirkungen.

John Easton (IBEW Houston) forderte die Ausbildung auch des unteren Managements in HR-Themen. Vickers betonte vor allem die Schwierigkeiten, überhaupt HR-Personal für den werksnahen Bereich zu finden.

Carlos Villareal (IBEW Houston) sprach die Schwierigkeit an, im Fall von Streitigkeiten auf örtlicher Ebene das höhere Management direkt zu erreichen. Vickers sah dafür sich selbst bzw. zukünftig Herrn Argentieri als Ansprechpartner an.

Craig Norman (IAM) fragte nach der Kommunikation des „Memorandum of Understanding“ im Siemens-Management. Vickers erläuterte, dass die Führungsebenen zu der Vereinbarung geschult wurden. Darüber hinaus wurden auch die HR-Vertreter mit dem Auftrag geschult, das jeweilige örtliche Management zu unterweisen. Gesonderte Schulungen des Managements wurden am Standort Sacramento (Kalifornien) durchgeführt, da hier Bestrebungen der IUE-CWA zur gewerkschaftlichen Organisation laufen.

Aus dem Management gab es grundsätzliche Kritik am Abschluss der Vereinbarung mit den Gewerkschaften. Vickers erklärte aber, dass Siemens in den USA zur Kooperation mit den Gewerkschaften bereit sei, wenn die jeweiligen Beschäftigten eine gewerkschaftliche Vertretung wollen. Eine Entscheidung für die Gewerkschaft ist dabei keine Entscheidung gegen das Unternehmen.

Middleton machte anschließend noch detailliertere Ausführungen zu den Verhandlungen um das „Memorandum of Understanding“. Er sagte, dass den Gewerkschaften der Begriff „Neutralitätsabkommen“ lieber gewesen wäre, dagegen aber bei Siemens Vorbehalte bestanden hätten. Das „Memorandum of Understanding“ ist jetzt auch inhaltlich ein Kompromiss beider Seiten.

John Shinn lobte die offene Atmosphäre der Verhandlungen. Er hob den Verzicht von Siemens auf sogenannte „Persuaders“, also bezahlte anti-gewerkschaftliche Berater, hervor und bedankte sich auch bei der IG Metall und dem deutschen GBR für die Unterstützung. Auch Mark Haasis sprach für die UAW die Unterstützung des Abkommens aus.

Harald Kern, Mitglied des Siemens-Aufsichtsrats und des Gesamtbetriebsrats in Deutschland, informierte über die aktuellen Diskussionen bei Siemens aus Sicht der Arbeitnehmervertreter. Hierzu gehören die Probleme bei „Process Industry and Drives“, die Neuorganisation von „Wind Power and Renewable Energies“, die Spekulationen über eine Fusion von „Mobility“ mit Bombardier sowie die Entwicklung der Unternehmensstruktur in Richtung einer Holding-Struktur.

Er erläuterte das in Deutschland bestehende System der Arbeitnehmervertretung mit Betriebsräten und Gewerkschaften und ging noch auf einzelne aktuelle Entwicklungen in den Siemens-Divisionen ein.

Dirk Linder gab eine Übersicht über die Siemens-Aktivitäten in den verschiedenen Regionen der Welt (mit einem Schwerpunkt auf den USA und Kanada) und die dort bestehenden gewerkschaftlichen Kontakte. Kern ergänzte die Ausführungen und betonte das Interesse der deutschen Arbeitnehmervertreter am Ausbau der Beziehungen zu den Arbeitnehmervertretern in anderen Ländern.

Middleton berichtete, dass der Abschluss und Inhalt des „Memorandum of Understanding“ mit Siemens in der IBEW positiv kommentiert wurde. John Shinn bedankte sich insbesondere bei der IBEW für die Organisation des Treffens. Er sagte, das Siemens-IFA-Treffen im Juni 2016 in Washington D.C. sei für den Abschluss des Abkommens mit Siemens entscheidend gewesen.

Den Gewerkschaftsvertretern sei in den Verhandlungen gegenüber den Siemens-Vertretern gelungen darzustellen, dass die Gewerkschaften auch in den USA funktionierende Beziehungen mit vielen Unternehmen unterhalten. Siemens lehnte eine generelle Neutralität gegenüber den Gewerkschaften und eine Akzeptanz der „Card Check“-Methode ab. Als besonders positiv in dem Abkommen hob er das Zugangsrecht zu bisher nicht gewerkschaftlich erschlossenen Betrieben von Siemens und den vereinbarten Katalog zu unterlassender Äußerungen und Handlungsweisen hervor.

Haasis unterstützte diese Analyse und forderte, dass sich der Dialog der beteiligten Gewerkschaften nicht auf ein jährliches Treffen beschränken sollte. Er hob hervor, dass bei Siemens in den USA noch ein großes Organisationspotential bestehe, das ausreichend Raum für alle beteiligten Gewerkschaften lasse. Allerdings müsse ein Kommunikationsprozess unter den Gewerkschaften organisiert werden, um Konfrontationen auszuschließen.

Todd Viars sagte, dass das Abkommen mit Siemens nicht an die Qualität der früheren Neutralitätsabkommen, zum Beispiel in der US-Automobilindustrie, heranreiche. Allerdings würden solche Neutralitätsabkommen inzwischen nirgendwo mehr erreicht. Er betonte, dass die Gewerkschaften untereinander keinen Konkurrenzkampf führen dürften.

Craig Norman schlug eine Absprache der für das „Organizing“ der verschiedenen Gewerkschaften verantwortlichen zum weiteren Vorgehen bei Siemens vor. Er sah als Zielsetzung für die weitere Zukunft den Abschluss eines „Master Agreements“ bei Siemens vor.

Middleton berichtete, dass bei der IBEW bereits ein „Mapping“ der bisher nicht gewerkschaftlich erschlossenen Betriebe von Siemens durchgeführt wurde. Er schilderte auch den Fall in dem Siemens-Bahnwerk in Sacramento (Kalifornien), der zu einer Belastung des Verhältnisses zwischen IBEW und IUE-CWA führte. Dort wurde entgegen der Absprache der Zentralen, die diesen Betrieb eigentlich der IUE-CWA überlassen wollte, ein „Local“ der IBEW aus eigenem Antrieb aktiv. Mittlerweile wurde der Konflikt bereinigt.

Eine besondere Motivation zur gewerkschaftlichen Erschließung besteht, wenn bisher nicht- gewerkschaftliche organisierte Betriebe gegenüber Betrieben mit gewerkschaftlicher Vertretung als Billiglohnkonkurrenz auftreten. Dies trifft zum Beispiel auf ein Turbinen-Servicecenter in North Carolina zu, das mit dem Servicecenter in Houston konkurriert, wo die IBEW vertreten ist.

Middleton berichtete von Organisierungskampagnen der IBEW bei anderen Unternehmen wie Schneider und Grayton. Ein großer Erfolg war die gewerkschaftliche Organisierung des Electrolux-Werks in Memphis (Tennessee). Diese Kampagne erfolgte mit Unterstützung der schwedischen Gewerkschaft IF Metall. Harald Kern zog das Fazit aus dem Treffen, dass sich herausgestellt hat, dass viele „Locals“ ähnliche Problemlagen oder sich ergänzende Interessen haben. Es sollte eine gemeinsame Kommunikationsplattform der Gewerkschaften bei Siemens in den USA eingerichtet werden. Eine Unterstützung dabei kann auch der „Siemens-Dialog“ der IG Metall bieten.

Randy Middleton sagte noch etwas zum Thema Ausbildung. In den USA gibt es zahlreiche Bemühungen, die weitgehend eingestellten Ausbildungsprogramme der Vergangenheit wieder zu beleben. Die IBEW arbeitet dabei mit verschiedenen Ausbildungsorganisationen zusammen. Die Unternehmen lehnen häufig die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften bei dem Thema weiter ab.

John Shinn schlug ein Treffen mit dem neuen HR-Verantwortlichen, Herrn Argentieri, zur Besprechung verschiedener Punkte, darunter auch zum Thema Ausbildungsprogramme, in den nächsten Monaten vor. Terry Schoonover sah vor allem das Problem, dass es bei Siemens keine festgelegte zentrale Verantwortlichkeit für das Thema Ausbildung gibt. Diese sollte eingerichtet werden. Das Interesse am Thema sei an vielen Standorten groß. Randy Middleton unterstützte John Shinns Vorschlag eines Treffens mit Herrn Argentieri. Craig Norman schlug ergänzend ein Treffen der „Organizing“-Verantwortlichen von IBEW, USW, IUE-CWA, IAM und UAW vor. Er sah ein Risiko für gewerkschaftliche Organisationskampagnen bei Siemens ohne ausreichende Kommunikation und Abstimmung.

(Bericht: Dirk Linder)