Siemens Dialog
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20.04.2024, 10:04 Uhr

Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen

  • 28.05.2010
  • Allgemein

Peter Löscher trifft die Großen und Größten: Angela Merkel, die gerade die Golfregion bereist, versteht es offensichtlich deutlich besser, ihre Begleiter auszusuchen als ihr Außenminister. Jedenfalls hatte sie den Siemens-CEO in ihrer Entourage, wohl um zu beobachten, wie dieser den einen oder anderen Öl-Dollar in €-Umsatz und womöglich Gewinn verwandelt.

Partystimmung bei Siemens Electrical Drives Ltd., Tianjin:<br>Energy-CEO Wolfgang Dehen (Bildmitte) und Chinas<br>Premier Wen Jiabao (links neben ihm) ...

... der schon seit Jahren gute Beziehungen zu Siemens<br>pflegt (2004 im Turbinenwerk Berlin, Bild: Siemens)<br>(Fotos zum Vergrößern anklicken)

Anders als in den PIIGS-Staaten (die bei Bankern üblich gewordene Bezeichnung für Portugal-Irland-Italiy-Greece-Spain, auf die Idee wäre selbst der hartleibigste Zyniker kaum gekommen) muss man am Golf um Bezahlung nicht bangen: "Kapital ist ausreichend vorhanden, Schulden sind die Ausnahme, und der Bedarf nach Infrastruktur ist enorm." (Peter Löscher laut "Handelsblatt" vom 25.05.2010)

Doch der Siemens CEO-will offenkundig nicht nur die Zeitungsleser unter seiner Gefolgschaft an seinen globalen Eindrücken teilhaben lassen, sondern schildert herausragende Ereignisse gerne auch in Mails an alle Beschäftigten: "ein ganz besonderes Ereignis macht den vorgestrigen 27. April 2010 für Siemens zu einem weiteren Markstein seiner Unternehmensgeschichte und für mich persönlich zu einem herausragenden Erlebnis in meiner Zeit als CEO. Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Barack Obama, war am Dienstag zu Gast in unserer Fertigung für Windkraftanlagen in Fort Madison, Iowa. Zum ersten Mal in der 163-jährigen Historie des Unternehmens durften wir einen US-Präsidenten bei uns begrüßen. Das ist eine große Ehre und Anerkennung für Siemens und für Ihre Leistung als Mitarbeiter in den USA und überall auf der Welt."

So berichtet der stolze CEO am 30. April. Sicher ein rundum erfreuliches Ereignis, dass der grüne Präsident die Green Company besucht und sich über die Möglichkeiten informiert, die massive Ölverschwendung in den USA zu reduzieren. Vielleicht wäre jetzt der richtige Zeitpunkt mit der Entwicklung einer sicheren Rohrleitungstechik z.B. durch Fossile Energy nicht nur die Effizienz des Energieverbrauchs sondern ebendiese im wörtlichen Sinne an der Quelle zu erhöhen. Bedarf ist da.

Keine zwei Wochen später ein weiterer Bericht, diesmal vom anderen Ende der Welt: "nur zwei Wochen nach dem Besuch des amerikanischen Präsidenten Barack Obama … haben wir heute erneut ein herausragendes Ereignis in der Siemens-Geschichte erlebt: Wir konnten den chinesischen Premierminister Wen Jiabao heute in unserem Werk Siemens Electrical Drives Ltd., (SEDL) in Tianjin, der rund 10-Millionen-Einwohner zählenden nordostchinesischen Hafenstadt und Heimatstadt des Premierministers, begrüßen." (Tianjin, nicht Tiananmen, das war eine andere Geschichte)

Während der amerikanische Präsident eher Interesse an Technologie gehabt zu haben scheint, hat sein chinesischer Kollege (und Hauptgläubiger) - wie bei kommunistischen Führern so üblich - die Gelegenheit zu einer politischen Stellungnahme genutzt: "Er sagte zu unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, ausländische Unternehmen wie Siemens, die in China produzieren, chinesische Mitarbeiter in China beschäftigen und ausbilden, in China Geschäfte machen und in China in Forschung und Entwicklung investieren, seien Teil der chinesischen Wirtschaft und würden so betrachtet wie chinesische Unternehmen. Und nicht nur das: die Produkte, die diese Unternehmen in China herstellten, würden als lokale chinesische Produkte erachtet."

Wer sich ein wenig mit der kryptischen Redeweise maoistischer Staatsmänner auskennt, versteht ein solches Lob immer auch als Drohung: Denn es mag der Zeitpunkt kommen, an dem nicht in China entwickelte, produzierte, etc. Produkte als eben nicht lokal und damit zollpflichtig behandelt werden könnten. "Diese Worte lösten bei den anwesenden Mitarbeitern anhaltenden und begeisterten Applaus aus." Neben dem Umstand, dass so ziemlich jede Äußerung eines chinesischen Spitzenkaders von staatswegen automatisch Applaus auslöst, dürfte derselbe auch die Hoffnung der chinesischen Kollegen zum Ausdruck gebracht haben, dass der von Siemens verfolgten SMART-Strategie, die Wen Jiabao ganz en passant so trefflich beschrieben hat, ein langes und glückliches Leben beschieden sei. Auf dass in naher Zukunft zahlreiche der noch lokalen chinesischen Produkte den Weg auf den Weltmarkt und nach Europa finden mögen.

Doch der Applaus beschränkte sich nicht auf die wanderarbeitenden chinesischen Kolleginnen und Kollegen, sondern erfasste auch den zwar womöglich ebenso umtriebigen, ja in gewisser Hinsicht genauso heimatlosen Wolfgang Dehen, "der .. in Anwesenheit von Premierminister Wen sagte: »Mit einer mehr als 150-jährigen Geschichte in China sind wir stolz, ein chinesischer Bürger zu sein und haben einen wesentlichen Beitrag zu Chinas nachhaltigem 'grünen' Wachstum geleistet. Und was mich genauso stolz macht: wir werden auch für die nächsten 150 Jahre ein chinesisches Unternehmen sein!«"

Dieser emphatisch vorgebrachte Stolz macht stutzig. Wer in Guangzhou (Kanton) den Weg ins gut verborgene Museum des Allchinesischen Gewerkschaftsbundes findet, stößt dort unter anderem auf ein Photo der ersten Siemens-Niederlassung in China. Allerdings mit für ihre elementaren Rechte streikenden chinesischen Bürgern, eine Bestrebung, die leider auch 150 Jahre später nicht von Erfolg gekrönt wurde. Insofern und auch in Anbetracht der derzeitigen Lage der arbeitenden chinesischen Bürger, die sich nicht eben komfortabler Arbeits- und Lebensbedingungen erfreuen, wäre ein etwas zurückhaltenderes Bekenntnis zum chinesischen Patriotismus womöglich irgendwie zivilisierter gewesen. China ist sicher ein dynamischer kapitalistischer Markt, dessen Entwicklungstempo im wahrsten Sinne atemberaubend ist, dessen Marktteilnehmer von Energie und Einsatz nur so strotzen, dessen Lern- und Kopierfähigkeit bewundert werden kann. Aber es ist eben auch ein Land ohne grundlegende demokratische Rechte, mit diktatorischen Eigenschaften nicht nur im politischen Raum sondern auch und gerade in der "Wirtschaft", mit kasernierten Wanderarbeitern, die zu Hungerlöhnen (30 € z.B. in Südchina - die Woche, nicht die Stunde) in 12-Stundenschichten bis 12 oder 13 Tage am Stück arbeiten, um ihren Kindern das Schulgeld bezahlen zu können.

Angesichts solcher Verhältnisse mag einem europäischen Kapitalisten womöglich das Wasser im Munde zusammenlaufen, das aber laut rauszuposaunen und bis zum Jahre 2260 festschreiben zu wollen, das geht ein bisschen zu weit.