Wenig Konkretes hat es in der vergangenen Woche gegeben, und doch ist viel in Bewegung. An den von Einschnitten bedrohten Standorten gärt es gewaltig, die Politik ist vielerorts alarmiert, und erstmals seit knapp 10 Jahren scheinen Entlassungen nicht mehr auszuschließen.
Spätestens mit der abgebrochenen Sitzung des Wirtschaftsausschusses begann eine lange Reihe von Protestaktionen, die auch diese Woche - Stichwort Bilanzpressekonferenz am 9. November - nicht abreißt.
Arbeitsdirektorin Janina Kugel hatte zuvor am 3. November das Schweigen des Vorstands gebrochen, allerdings an die dpa gewandt und ohne echte Neuigkeiten: Es werde "massive Veränderungen" geben, für deren Verkündung man sich "Mitte November vorgenommen" habe. Die potenziell betroffenen Beschäftigten kann diese vage Ankündigung verständlicherweise nicht zufriedenstellen.
Eigentümerkultur auf Abwegen
Wenig Gehalt haben auch die anderen Aussagen. Die Energiebranche sei weltweit im Umbruch, verkündete Kugel ein weiteres Mal, man müsse also handeln. Mag schon sein - aber eigentlich hätte man schon lange vorher handeln müssen, bevor die möglichen Optionen wieder einmal aufs Abbauen schrumpfen; eigentlich hatte man gerade diese schmerzhafte Option ja schon mit "PG 2020" gezogen, und im Gegenzug eine Stabilisierung versprochen.
Und eigentlich sollte man von einem Unternehmen wie Siemens erwarten dürfen, dass es auf lange klar absehbare Marktentwicklungen reagiert, bevor nur noch der Rotstift bleibt. Wo da die oft zitierte Eigentümerkultur bleibt, ist schwer zu verstehen - Eigentümer, sollte man meinen, warten nicht ab, bis sie mit dem Rücken zur Wand stehen.
Neue Negativ-Qualität
Das alles ist aus leidvoller Erfahrung in der Vergangenheit bei Siemens nicht neu. Aufhorchen lässt jedoch, dass Kugel erstmals auch betriebsbedingte Kündigungen nicht ausschließen mag. Dass sie im selben Atemzug versichert, die seit 2008 geltende Standort- und Beschäftigungssicherung "Radolfzell" sei "nicht tot", klingt verdächtig nach einem Lippenbekenntnis. Einseitig von bevorstehenden Entlassungen zu reden, lässt genau das Gegenteil befürchten; das ändert auch die Floskel nicht, man wolle "den guten Dialog aufrecht erhalten".
Davon ist aus Sicht der IG Metall momentan nichts zu spüren. Erst unkontrollierte Spekulationen, dann Schweigen, erst auf Druck ein paar Allgemeinplätze, und schließlich das Vertrösten auf "Mitte November" sind kein Dialog. Die IG Metall sieht in den Ereignissen eher einen massiven Angriff auf "Radolfzell".
Es geht um alle
Ein aktuelles Flugblatt fasst diese Befürchtung zusammen: "Betriebsbedingte Kündigungen sind kein Tabu mehr. Das ist ein Angriff auf „Radolfzell II“. [...] Wenn bei „Power & Gas“ damit begonnen wird, ist das Einfallstor geöffnet." Tatsächlich steht zu erwarten, dass die Sicherung von Standorten und Beschäftigung ins Wanken kommt, wenn beides bei PG plötzlich nicht mehr greift. Von daher ist es entscheidend, dass der Widerstand sich nicht auf die akut betroffenen Bereiche beschränkt - alle Siemens-Beschäftigten sind gefragt, sich zu wehren.
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