Siemens Dialog
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25.04.2024, 00:04 Uhr

Aus Flüchtlingen werden Kollegen

  • 06.06.2016
  • Allgemein

Vor rund drei Jahren retteten Betriebsrat und Beschäftigte des Leipziger Siemens-Schaltanlagenwerks mit der IG Metall ihren Standort vor dem Kahlschlag. Jetzt stellen sie ihr hohes Engagement in einem ganz anderen Bereich unter Beweis - mit konkreter Hilfe für geflüchtete Menschen.

Praktikum in der Fertigung ...

... oder der Logistik. (Fotos: Siemens AG, Wolfgang Zeyen)

Betriebsratsvorsitzender Michael Hellriegel hat für den Siemens Dialog zusammengefasst, wie es zu diesem guten Beispiel aktiver Hilfe zur Integration gekommen ist.

Wie ist die Idee zu Eurem Engagement entstanden? Als Betriebsrat haben wir uns bereits im vergangen Jahr Gedanken darüber gemacht, wie wir konkret Menschen, die vor Krieg und Elend geflohen sind, helfen können. Wir haben im Herbst eine Sach- und Geldsammlung für Flüchtlinge und bedürftige Leipziger Familien durchgeführt. Um die Weihnachtszeit haben viele unserer Kolleg_innen Päckchen für Kinder in Aufnahmeeinrichtungen gepackt, um ihnen eine kleine Freude zu machen. Das sind alles gute und wichtige Gesten, aber wie kann man die vielen Menschen integrieren, ihnen temporär oder längerfristig eine sinnvolle Aufgabe geben? Wie diese große gesamtgesellschaftliche Aufgabe angehen?

Wie lief das Zusammenspiel mit Management und Behörden? Mit der Werksleitung waren wir uns sehr schnell einig, Stellen im Rahmen des Projektes „Praktikum für Flüchtlinge bei Siemens“ anzubieten. Gemeinsam mit der Betriebsbetreuerin der Agentur für Arbeit Leipzig wurden geeignete Bewerber eingeladen und nach Überwindung einiger bürokratischen Hürden begannen Ende Februar vier Flüchtlinge an unserem Standort ein zweimonatiges Praktikum.

Wie sahen die konkreten Rahmenbedingungen aus? Gezahlt wurde Mindestlohn, unter Abzug der üblichen Sozialbeiträge und Steuern. Vier Flüchtlinge aus vier verschiedenen Ländern wurden an vier verschiedenen Arbeitsplätzen im Werk eingesetzt und mit ihren Praktikumsaufgaben vertraut gemacht. Nach zwei Wochen eine erste Bilanz: Alle Abteilungen waren sehr zufrieden mit dem Engagement und der Aufgabenbewältigung, die Flüchtlinge fühlten sich gut aufgenommen und von ihren Arbeitskollegen gut unterstützt. In zwei Fällen wurden neue Aufgaben gestellt, da die vorgesehenen schon abgearbeitet waren.

Welches Fazit zieht Ihr nach dem Abschluss der Praktika? Zufriedenheit auf beiden Seiten. Dass das Praktikum als Einstieg ins Berufsleben erfolgreich war, zeigte die hohe Vermittlungsquote danach. Der Kollege, der in der Fertigung eingesetzt war und bisher keine Berufsausbildung hatte, beginnt im August eine Ausbildung zum Elektroniker für Betriebstechnik bei Siemens. Der Logistiker konnte unmittelbar nach Abschluss seines Praktikums eine unbefristete Stelle bei einem Leipziger Unternehmen antreten. Der in der IT eingesetzte Kollege hat ebenfalls ein Angebot über die Agentur für Arbeit im Bereich der digitalen Bildauswertung erhalten. Auch für den im Bereich Engineering eingesetzten Kollegen ergeben sich gegebenenfalls Möglichkeiten; sein Einsatz wurde um weitere vier Wochen verlängert.

Und wie geht es jetzt weiter - war es das? Nein! Wir werden auch weiterhin unseren möglichen Beitrag zur Integration von Flüchtlingen leisten. Im Juni werden zwei Schüler aus einer Integrationsklasse ein zweiwöchiges Schülerpraktikum antreten und im Herbst werden wir erneut vier bis fünf Praktikantenstellen anbieten.

Dass all das im Leipziger Schaltanlagenwerk überhaupt möglich ist, ist dem erfolgreichen Kampf der Arbeitnehmer_innen um ihren Standort im Jahr 2013 zu verdanken. Die geplante Fertigungsschließung und Verlagerung nach Portugal konnte gemeinsam mit der IG Metall, verschiedenen Unterstützern und der gesamten Belegschaft verhindert werden (siehe Widerstand lohnt sich).

Michael Hellriegel Betriebsratsvorsitzender