Siemens Dialog
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16.05.2024, 19:05 Uhr

Da sitzt er nun

  • 19.02.2007
  • Allgemein

Rund 20 Jahre saß er unangefochten der AUB vor, inhaltlich saß er im Boot der Arbeitgeberseite, nun sitzt er in Untersuchungshaft. Deswegen nur mit Häme über die AUB herzufallen, die mit Wilhelm Schelsky wohl ihre zentrale Figur verlieren wird, ist jedoch wenig konstruktiv.

Der tiefe Fall des schillernden, um nicht zu sagen dubiosen, Geschäftsmannes, Unternehmensberaters und Bundesvorsitzenden der "Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger" (<link http: www.aub.de _blank>AUB) erzeugt bei gewerkschaftlichen Arbeitnehmervertretern spontan so etwas wie leise Genugtuung. Das ist verständlich, ist doch der von Schelsky mitgeprägte Berufsverband erklärter Gegenpol der DGB-Gewerkschaften - zuweilen fragt man sich, ob es ihm primär um den Einsatz für Beschäftigteninteressen oder den gegen gewerkschaftliche Standpunkte geht.

Leistungen "nicht ausreichend nachgewiesen"

Der immer wieder aufkeimende Verdacht, hinter der offen zur Schau getragenen Arbeitgeberfreundlichkeit könne eine handfeste Interessengemeinschaft mit dem Management stehen, scheint jetzt zumindest teilweise bestätigt: Rund 14 Millionen Euro an Honorar für "nicht ausreichend nachgewiesene" Beratertätigkeiten, das schafft Klärungsbedarf. Siemens geht eilends auf Distanz und erklärt, man habe Ende 2006 (also erst, als das Compliance-Großreinemachen bereits in vollem Gang war) einen Beratervertrag mit Schelsky fristlos gekündigt; die stolze Summe allerdings erstreckt sich zum einen nur auf den Zeitraum seit 2001, zum anderen bleibt eine Fülle anderer Geschäftsbeziehungen unberührt.

Immer gut kooperiert

Da wäre, nur ein Beispiel, etwa die "Rettung" der früheren ICN-Fertigung in Greifswald (siehe „Gerettet“ oder über den Tisch gezogen?). Im Jahr 2000 produzierte Siemens dort ISDN-Netzabschlussgeräte, aber schon 2002 verkündete der damalige Bereichsvorstand Thomas Ganswindt, mittlerweile selbst Objekt staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen, die Schließung. Mit Unterstützung des AUB-dominierten Betriebsrats verkaufte Siemens den Betrieb samt 250 Beschäftigter an die dafür gegründete <link http: www.mlands.com _blank>ml&s manufacturing, logistics and service GmbH & Co. KG. An dem Unternehmen, das mit befristeter Tarifbindung, Kurzarbeit und ohne Auslastungsgarantie an den Start ging, war Schelsky mit 16,6 Prozent beteiligt; nach Recherche der regionalen <link http: www.svz.de newsmv mvwirtschaft _blank>Schweriner Volkszeitung sind es heute 46 Prozent. Die Betriebsratsvorsitzende Gudrun Haseloh (Foto) rückte im November 2004 zu seiner Stellvertreterin im AUB-Bundesvorstand auf; das mag vielleicht juristisch alles einwandfrei sein, der Beigeschmack umtriebiger "eine Hand wäscht die andere"-Mauschelei allerdings bleibt nicht aus.

Unmittelbare Unterstützung?

Wahrscheinlich für immer im Dunkeln bleibt auch ein Großteil der immer wieder entstandenen Zweifel hinsichtlich der Frage unmittelbarer Unterstützung der AUB durch Siemens in einzelnen Betrieben. Traute Jäger, im AUB-Vorstand für Public Relations zuständig, weist den Verdacht erwartungsgemäß zurück und betont zudem in Sachen Schelsky etwas hilflos, die Ermittlungen richteten sich gegen ihn persönlich, nicht aber die AUB als Organisation. Letzteres mag zumindest formal stimmen, für materielle Hilfestellung der AUB vor allem in Betriebswahlkämpfen jedoch gab und gibt es immer wieder Indizien, in Einzelfällen auch konkrete Belege (siehe PM-Erlg_AUB-Siemens.doc im Download). Dass immer wieder Geld  von Siemens an die AUB floss, wurde nach Aussage des Aufsichtsratsmitglieds und zweiten IG Metall-Vorsitzenden Berthold Huber auch im Aufsichtsrat bereits mehrfach angesprochen; da sie keine ausreichenden Fakten in der Hand hatte, konnte die IG Metall aber nie konkret gegen den Verband vorgehen.

Täuschung und Enttäuschung

Zur Gruppe der durch den omnipräsenten Schelsky Getäuschten gehören nun nicht nur die Beschäftigten, die ihre Interessen eher dessen Berufsverband als einer Gewerkschaft anvertrauten; auch Betriebsräten, die mit DGB und IG Metall aus welchem Grund auch immer nichts anfangen können, aber trotzdem aktiv an der Gestaltung von Arbeitsbedingungen mitwirken wollten, wird durch den Fall Schelsky ein Stück Boden unter den Füßen weggezogen. Obgleich die AUB so wie nun wieder Traute Jäger stets ihre nicht-zentralistische Struktur betont, ist die Trennlinie zu einem Mann schwer zu ziehen, der für die AUB ungefähr das ist, was Helmut Kohl in der nach ihm benannten Ära für die CDU war - nur mit deutlich längerer Amtszeit.

Es bleibt zu hoffen, dass darunter nicht die Arbeit der vielen, unbestritten aufrichtigen und engagierten Betriebsräte vor Ort leidet. Und vielleicht kommt der beziehungsweise die eine oder andere ebenso wie manche Beschäftigte ins Nachdenken, wo die Mitarbeitervertretung in einer Zeit zunehmend polarisierter Wirtschaftsinteressen am besten aufgehoben ist.