Siemens Dialog
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28.04.2024, 11:04 Uhr

"Ich bin ein Siemensianer"

  • 11.10.2002
  • Allgemein

Großkundgebung vor Berliner Verwaltungsgebäude sowie in Düsseldorf

"Ich bin ein Siemensianer"

Symbolträchtig um fünf vor 12 trafen die Demonstrationszüge der einzelnen Siemens-Werke und Tochterfirmen vor dem Verwaltungsgebäude zusammen. In Düsseldorf waren es rund 1500 Beschäftigte aus ganz NRW, die sich nach einem Protestzug durch die Stadt auf dem Burgplatz sammelten. In Berlin waren gut tausend Menschen gekommen, um gegen die Kahlschlagpolitik der Konzernleitung zu demonstrieren. Mit ihren Trillerpfeifen machen die Angestellen ihrer Empörung über den geplanten Stellenabbau Luft: Mindestens 15 000 Arbeitsplätze will Siemens in Deutschland streichen. Allein in Berliner Betrieben sind erneut 2000 Arbeitsplätze in Gefahr. Die roten IG Metall -Fahnen und –Mützen leuchten in der Sonne. Mitarbeiter der Siemens-Tochter Osram halten ein großes, leeres Pappschild in die Höhe. „Unser Betrieb ist bald so leer wie diese Pappe“, ist unten darauf zu lesen.

„Siemensstadt darf kein Dorf werden!“, ruft der Konzernbetriebsratsvorsitzende Georg Nassauer in die applaudierende Menge. Früher wurde ein Dorf ab 10 000 Einwohnern zur Stadt erklärt, sagt Nassauer: Und bei Siemens in Berlin droht die Belegschaft nun erstmals unter die Schwelle von 10 000 Mitarbeitern zu sinken. Vor zwölf Jahren waren noch 23 000 am Standort Berlin beschäftigt.

Die Politik der Unternehmensführung macht vor keiner Sparte halt: Auch hochqualifizierte Produktentwickler sind betroffen, betont Nassauer: „Gestern wurden sie mit der Greencard geholt, und heute zeigt man ihnen die Rote Karte.“

Siemens verkaufe „intelligente Lösungen“. Sei es im Bereich der Gebäudetechnik, Energie oder Licht. „Eigentlich überall, außer bei der eigenen Personalpolitik“, kritisierte Nassauer: Er forderte Alternativen zum Stellenabbau und verwies auf den konstruktiven Vorschlag der Gewerkschaft, eine eigene „Montage-, Wartungs- und Service-Gesellschaft mit schlanken Strukturen zu gründen: „Berlin kann sich keine weiteren Arbeitslosen mehr leisten!“ Auch das Modell der Altersteilzeit könne Entlassungen verhindern, betonte Nassauer. Wenn die Konzernleitung zu einem finanziellen Entgegenkommen bereit wäre, kämen 7000 Leute für dieses Modell in Frage.

Seit Ende der 90er Jahre habe sich der Börsenwert bei Siemens zur alleinigen Richtgröße entwickelt, kritisiert Arno Hager, Erster Bevollmächtigter der IG Metall in Berlin, bei seiner Ansprache. Damals schien es an der Börse permanent aufwärts zu gehen. „Aber dieser Zauber ist längst vorbei“, sagt Hager. Man müsse als Manager wieder längerfristig planen. Gute Produkte seien letztlich das Entscheidende, und die erreiche man nur mit einer motivierten und kompetenten Belegschaft. Hager plädiert für ein stabiles Gesamtprogramm: „Es kann nicht jedes einzelne Werk eines Konzerns in jeder Phase immer nur schwarze Zahlen schreiben.“ Anne Trendelenburg, Jugendauszubildenden-vertreterin in Berlin, weist auf die immense Bedeutung der Nachwuchsförderung hin und fordert die unbefristete Übernahme aller Azubis. Ihr selbst war nach der Lehre zur Industrie-elektronikerin lediglich eine Teilzeitarbeit von 19 Stunden pro Woche angeboten worden. „Eine Sauerei“, sagt Trendelenburg. Durch eine über den DGB eingereichte Klage hat sie eine Vollzeitanstellung für sich erwirkt, sowie einen einjährigen Kündigungsschutz.

Die kämpferischsten Worte findet schließlich Güngör Demirci, Betriebsratsvorsitzender bei Bosch Siemens Hausgeräte (BSH): „Die Herrschaften in der Konzern-Leitung können sich auf Widerstand gefasst machen: Falls der Stellenabbau so weiter geht, werden wir Arbeiter die Betriebe besetzen.“

In mehreren Berliner Siemens-Werken waren den Mitarbeitern arbeitsrechtliche Konsequenzen angedroht worden, falls sie an dieser Kundgebung teilnehmen. Doch viele liessen sich davon nicht einschüchtern: „Es bringt eben immer etwas, für seine Rechte auf die Straße zu gehen“, sagen Franz Frühwald und Bernhard Plottka, die im I & S-Bereich bei Siemens tätig sind: „Schon allein, weil es der Konzernleitung unangenehm ist, mit Negativ-Schlagzeilen in der Zeitung zu erscheinen.“

(th)