Im Rahmen eines Treffen indischer Gewerkschaften und Siemens-Betriebsräte in indischen Mumbai besuchten Vertreter des europäischen Siemens-Betriebsrats, der IG Metall, des internationalen Metallarbeiterbunds, der Friedrich-Ebert-Stiftung und des Instituts für Sozialwissenschaftliche Forschung im Dezember 2009 auch das Energy-Werk Kalwa im nahen Thane.
Energy für Indien, Nahost und Südostasien
Im Siemens-Werk Kalwa Works in Thane nördlich von Mumbai arbeiten etwa 3.000 Beschäftigte. Der Betrieb besteht aus vier Teilwerken: Switchgear, Switchboard, Motordrives und Transformers; außerdem gibt es am Standort Entwicklungsabteilungen und natürlich eine Administration. Nach Auskunft des Managements produziert man vor allem für den Inlandsmarkt, Exporte gehen überwiegend in den nahen Osten oder Südostasien.
Außenanlagen, Werkshallen und Maschinenpark empfanden die deutschen Besucher als sehr gepflegt, obwohl der Maschinenpark überwiegend deutlich älter ist als in vergleichbaren deutschen Werken. Die Arbeitssicherheit hingegen dürfte, soweit das bei einem einzigen Besuch zu beurteilen war, nahezu deutschem Niveau entsprechen.
Die Beschäftigten erhalten bei Siemens eine sehr gründliche Ausbildung, die etwa für Facharbeiter ein bis drei Jahre dauern kann. Da das Niveau der Ingenieursausbildung an indischen Hochschulen nach Auskunft des Siemens-Managements beträchtlich unter dem deutscher Hochschulen liegt, ist auch in diesem Bereich üblicherweise eine intensive Einarbeitung von einem Jahr Länge nötig.
Kritik an Anti-Gewerkschaftsstrategie
Aus Arbeitnehmersicht ist insbesondere ein Umstand äußerst kritisch zu bewerten, mit dem indische Gewerkschaftsvertreter Siemens' Personalvorstand Siegfried Russwurm auch im Rahmen der internationalen Arbeitnehmertreffens in München (siehe Internationales Siemens-Arbeitnehmertreffen) konfrontierten.
Nach indischem Gesetz können Beschäftigte unter bestimmten Voraussetzungen als so genannte "Officers" eingruppiert werden. Diese Gruppe wird außertariflich (rund 30% höher) bezahlt und unterliegt nicht den Tarifverträgen. Auf der anderen Seite herrschen in ihr ein schwächerer Kündigungsschutz sowie eine massive Abgrenzung von Gewerkschaftsaktivitäten; diese geht im Betrieb so weit, dass nach Darstellung der indischen Arbeitnehmervertreter manche Betroffene sogar Erklärungen unterschreiben müssen, keiner Gewerkschaft beizutreten.
Gezielter Missbrauch
Diese Regelung wäre an sich schon zweifelhaft. Bei Kalwa Works jedoch kommmt hinzu, dass das Management sie offenbar gezielt missbraucht, um Beschäftigte von den Gewerkschaften fernzuhalten. Mit diesem Ziel werden den Schilderungen zufolge auch Beschäftigte als "Officer" deklariert, wenn die entsprechenden Voraussetzungen dafür nicht vorliegen. Besonders ausgeprägt ist die im Transformatorenwerk, wo rund 200 Beschäftigte trotz eindeutiger Arbeitertätigkeiten ("Shopfloor") als "Officer" eingestuft sind. Gleichzeitig ist das Werk mit einem Zaun von den anderen abgetrennt und verfügt über einen eigenen Eingang und sogar eine Kantine.
Rechtsweg mit langem Atem
Nach dem Eindruck der deutschen Besucher dient die Praxis der missbräuchlichen Einstufung von Arbeitern als "Officers" ganz offensichtlich dazu, die Gewerkschaften zu schwächen und ist zudem nach indischem Recht nicht zulässig. Die Gewerkschaft <link http: www.siemensworkersunion.com _blank external-link-new-window>Siemens Workers' Union klagte bereits gegen diesen Missbrauch und erhielt in der ersten Instanz Recht. Eine Lösung des Problems in absehbarer Zeit scheint dennoch unwahrscheinlich, sollte nicht Siemens selbst mit Blick auf seine Compliance-Bemühungen eingreifen: In Indien mahlen die Mühlen der Justiz noch langsamer als in Europa, so dass eventuell noch Jahre bis zu einer endgültigen Entscheidung ins Land gehen werden.