Siemens Dialog
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29.04.2024, 05:04 Uhr

Massenkundgebung gegen den Kahlschlag bei Siemens

  • 11.02.2010
  • Operativ

Zuerst hatte man 3.000 TeilnehmerInnen erwartet, dann 5.000 - am Ende waren es nach Schätzung der Polizei über 7.000 Menschen, vielleicht auch 8.000, die am Mittwoch in Bad Neustadt gegen den geplanten Stellenabbau bei Siemens demonstrierten. Sie alle drückten durch ihr Kommen eine dringende Aufforderung an den Vorstand aus, die nicht klarer sein könnte: Nehmen Sie den Abbaubeschluss zurück!

Bad Neustadt zum Bersten gefüllt<br>(Fotos zum Vergößern anklicken)

Bernhard Omert, Betriebsratsvorsitzender

"Hände weg von den Arbeitsplätzen unserer Eltern"

Peter Kippes, 2. Bevollmächtigter IG Metall Schweinfurt

Die Rhön protestiert

Überwältigendes Echo - die ganze Rhön auf den Beinen

Mit bedruckten T-Shirts, Trillerpfeifen, Rasseln und Transparenten füllten Tausende Demonstrantinnen und Demonstranten die ganze Stadt am frühen Nachmittag bis zum Bersten. Aufgerufen hatten neben der IG Metall in den vergangenen Tagen auch Kirchen, Parteien, örtliche und regionale Verbände und Organisationen von der IHK bis zur freiwilligen Feuerwehr - und die Reaktion der Aufgerufenen übertraf alle Erwartungen.

Menschen aus der ganzen Region strömten zur Kundgebung, denn der geplante Kahlschlag bei Siemens Industry in Bad Neustadt würde über die bayerischen Landesgrenzen hinweg bis nach Hessen und Thüringen hinein spürbar werden. Der Landkreis Rhön-Grabfeld und seine Nachbarn gelten als strukturschwach, so dass ein Ausgleich des drohenden Stellenverlustes bei Siemens durch andere Unternehmen in der Region praktisch ausgeschlossen ist. So kommt es, dass, wie es der Bad Neustädter Siemens-Betriebsratsvorsitzende Bernhard Omert ausdrückte, die Rhön sich "unterstützungsmäßig gesehen bis nach Mainfranken zieht - Hessen und Thüringen gehören eh' dazu."

"Die Leute sind wild entschlossen"

Peter Kippes, zweiter Bevollmächtigter der für Bad Neustadt zuständigen IG Metall Schweinfurt, betonte die Haltung nicht nur der bedrohten Siemensianer, sondern der gesamten Bevölkerung: "Die Leute sind wild entschlossen, hier die Arbeitsplätze zu halten." Omert erklärte, warum dies so wichtig für das Überleben der Region ist: "Die Zahlen der Agentur für Arbeit sprechen für Rhön-Grabfeld eine deutliche Sprache - 2.294 Arbeitslose und 325 offene Stellen." Vor diesem Hintergrund verpuffen die Beschwichtigungsversuche des bayerischen Ministerpräsidenten, so Omert: "Wer glaubt in Bad Neustadt 15 Prozent der Industriearbeitsplätze sozialverträglich abbauen zu können, hat von der Lage vor Ort keine Ahnung."

"Siemens kann mit der Entscheidung eine ganze Region in Armut treiben", machte auch Klaus Ernst, erster Bevollmächtigter der Schweinfurter IG Metall und designierter Parteivorsitzender der Linken, die drohenden Folgen der Abbaupläne klar. Siemens' rigoroses Vorgehen ohne erkennbare wirtschaftliche Not bezeichnete er als "absolut unerträgliches Verhalten".

Zur Gewinnmaximierung erbarmungslos gegen die Mitarbeiter

Die von Siemens angeführten Gründe sind in der Tat mager: Neben der Konjunktur wurde dem Wirtschaftsausschuss gegenüber geäußert, die Arbeitskosten seien zu hoch und man wolle künftig Doppelinvestitionen in Bad Neustadt und Tschechien vermeiden. Der Betriebsratsvorsitzende kritisierte in seiner Ansprache: "Um das Ganze mit dem Eindruck von Erforderlichkeit zu versehen, wird die Umstellung auf energieeffizientere Motoren ab Mitte 2011 zum Anlass genommen. Dass dabei auch noch Technik, nämlich der Hybridläufer, die in Bad Neustadt entwickelt wurde, gegen unsere Arbeitsplätze eingesetzt wird, zeigt ganz deutlich, wie erbarmungslos Siemens zur Gewinnmaximierung gegen seine Mitarbeiter vorgeht."

Breiter Rückhalt in der gesamten Bevölkerung

Der überwältigende Aufmarsch in Bad Neustadt beweist, dass der Kampf gegen diese Restrukturierung mit der Abrissbirne von einer riesigen Mehrheit getragen wird. Der Rückhalt in der Bevölkerung setzt sich über sämtliche Grenzen hinweg: Kindergartenkinder und Schüler - "Hände weg von den Arbeitsplätzen unserer Eltern"- waren ebenso unterwegs wie Rentner, die sich um die Zukunft der Region sorgen. Lokalpolitiker verbinden sich über Parteiengrenzen hinweg, wie der Bad Neustädter Bürgermeister Bruno Altrichter in seiner Ansprache betonte: Alle 63 Bürgermeister der Landkreise Rhön-Grabfeld und Bad Kissingen haben eine gemeinsame Resolution an Siemens verabschiedet, in der sie eindringlich die Rücknahme der Abbauentscheidung oder die Schaffung neuer Arbeitsplätze fordern.

Keine Abwicklung, sondern ein realisierbares Konzept

Genau dieses Ziel verfolgen Betriebsrat und IG Metall, wenn am 26. Februar Gespräche mit der Firmenseite aufgenommen werden. Omert brachte es auf den Punkt: "Für uns heißt daraus die Konsequenz: kein Arbeitsplatzabbau. Wir werden über ein Weiterführen der Produktion verhandeln. Wir reden dabei gerne auch über neue, zukunftsfähige Produkte. [...] Wir Betriebsräte wollen keine schnelle Abwicklung, sondern ein gut überlegtes, realisierbares Konzept, dass auch in Zukunft die Arbeits- und Ausbildungsplätze in Bad Neustadt und damit die Existenz von hunderten von Familien nachhaltig sichert. Dabei darf nicht menschenverachtende Profitgier im Mittelpunkt stehen, sondern ein verantwortungsbewusster Umgang mit Menschen, Natur und Umwelt."

"Wir verhindern den Untergang!"

So vielfältig wie die Front gegen den Stellenabbau waren auch die Slogans, mit denen die Menschen auf Plakaten, T-Shirts und Spruchbändern ihren Protest ausdrückten: "Siemens-ZukunftsausLöscher", "Beim Abbau sind sie fix – für den Erhalt tun sie nix", "Löscher löscht die Rhöner aus", "Stellen tot – Region in Not" und schließlich wieder die überall spürbare Entschlossenheit: "Wir verhindern den Untergang!"