Siemens Dialog
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05.05.2024, 04:05 Uhr

Attacke auf die Mitbestimmung

  • 08.07.2005
  • Allgemein

Im Zuge der Aufstellung der Parteien für die erwarteten Neuwahlen geraten auch Kündigungsschutz, Tarifautonomie und Mitbestimmung erneut ins Visier der üblichen Verdächtigen. Die FDP beispielsweise nutzt den Anlass zum Großangriff auf Gewerkschaften - im schönsten Einklang mit der AUB.

Wie das <link http: www.handelsblatt.de _blank>Handelsblatt am Mittwoch meldete, hat der stellvertretende FDP-Chef Rainer Brüderle die paritätische Mitbestimmung als "Irrweg" bezeichnet, den man durch eine "Drittelmitbestimmung" ersetzen wolle. Ein vom FDP-Präsidium beschlossenes Zehn-Punkte-Programm fordert außerdem, die Arbeitnehmerseite in den Aufsichtsräten ausschließlich durch direkt gewählte Arbeitnehmervertreter sowie gesetzliche Öffnungsklauseln aus, die betriebliche Bündnisse für Arbeit ohne Genehmigung der Tarifparteien ermöglichen. Über das daraus resultierende Entfallen übergeordneter Interessenvertretung hinaus will die FDP die Vertretung in den Betrieben selbst maßgeblich zurückschneiden: Betriebsräte soll es demnach erst bei mindestens 20 (statt wie bisher fünf) Beschäftigten geben, Freistellungen erst ab 500 (statt 200). Last but not least soll das Kündigungsschutzgesetzes nach den Plänen der Liberalen künftig nur in Betrieben mit mindestens 50 MitarbeiterInnen und für Beschäftigte mit mindestens vier Jahren Betriebszugehörigkeit Anwendung finden.

Den gesamten Maßnahmenkatalog will die die FDP nach Möglichkeit schleunigst in den ersten Monaten nach der erhofften Regierungsübernahme umsetzen. Als Vorwand, wie sollte es anders sein, muss wie gewohnt eine angeblich höhere Flexibilität herhalten, mit denen in den Unternehmen jeweils auf die individuelle Lage reagiert werden kann. Konsequent ignoriert wird dabei die Tatsache, dass flexible, maßgeschneiderte Einzellösungen sich durchaus mit der derzeitigen Gesetzeslage vereinbaren lassen, eine Tatsache, die sich angesichts einer Vielzahl Praxisbeispiele mittlerweile auch in den Unternehmen durchzusetzen beginnt: Nicht von ungefähr vergleicht etwa die aktuelle Ausgabe des "<link http: www.spiegel.de _blank>Spiegel" ("Öffnung braucht kein Gesetz") den Ruf Angela Merkels nach mehr Tarifspielraum mit einer "Herbergsmutter, die ihren Gästen mitten in der Nacht das Schlafen befiehlt" und konstatiert, die Union drohe sich "auf ein Gesetz zu versteifen, das erfahrene Tarifpraktiker nicht nur für weitgehend überflüssig, sondern auch für höchst risikoreich halten."

Bemerkenswert am aktuellen FDP-Katalog sind die Parallelen zum Standpunkt der den Liberalen traditionell nahestehenden AUB: schon vor zwei Jahren forderten die "Unabhängigen" gemeinsam mit der FDP, der damals gerade beschlossenen Agenda 2010 "schnellstens weitergehende Maßnahmen folgen" zu lassen. AUB-Chef Wilhelm Schelsky und die bayerische FDP-Landesvorsitzende Sabine Leutheusser-Schnarrenberger forderten damals den Vorrang betrieblicher Vereinbarungen vor Flächentarifverträgen und "die legale Möglichkeit [...], den Erhalt und die Sicherung von Arbeitsplätzen vor tarifliche Normen zu setzen, wenn ein Großteil der betroffenen Mitarbeiter damit einverstanden sind" (siehe <link http: www.aub.de web ww de pub presse archiv content1217.htm _blank>Pressemeldung der AUB vom Juni 2003). Vielleicht wäre es allmählich an der Zeit, die Argumentation auf den neuesten Stand zu bringen - nach zahlreichen betrieblichen Lösungen (nicht nur bei Siemens) unter Beteiligung der Gewerkschaften und im Rahmen der geltenden Gesetze wirkt es zunehmend unglaubwürdig, weiter die selben, abgegriffenen Scheinargumente herunterzubeten.