Siemens Dialog
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30.04.2024, 20:04 Uhr

ERA: "Die Stimmung ist geladen"

  • 27.11.2006
  • Allgemein

Siemens-Beschäftigte wehren sich zunehmend gegen die Umsetzungspraktiken beim ERA-Tarifvertrag. Nach den Sekretärinnen bei Med Erlangen schlagen nun auch in mehreren Betrieben im Rhein-Main-Gebiet die Wogen der Empörung hoch.

Ende September teilte Siemens seinen Betriebsräten und Beschäftigten ihre neuen Entgeltgruppen nach dem Entgeltrahmenabkommen (ERA) mit. In den Betrieben im Rhein-Main-Gebiet soll nach diesen Vorschlägen das neue tarifliche Entgelt um bis zu 1.500 € unter den alten Löhnen und Gehältern liegen - und das, nachdem gerade erst die Erhöhung der Vorstandsgehälter bei Siemens um 30% bekannt gegeben worden war.

In einer aktuellen Information erläutert die IG Metall-Verwaltungsstelle Frankfurt, die Stimmung in den Betrieben sei entsprechend geladen. So kamen beispielsweise bei Siemens VDO in Karben 400 Beschäftigte zu einer kurzfristig einberufenen Sprechstunde des Betriebsrats, um sich beraten zu lassen und ihrem Unmut Luft zu machen. In den Betrieben der Region hagelte es Widersprüche gegen die von Siemens beabsichtigte Eingruppierung.

Zwar verhindert der Tarifvertrag eine Senkung der derzeitigen Effektivverdienste, jedoch werden bis zu 10 Prozent des bisherigen Monatseinkommens mit den Tariferhöhungen der nächsten Jahre verrechnet. Auf diese Weise bleibt von den zukünftigen Tariferhöhungen auf Jahre nur eine Mindesterhöhung von einem Prozent übrig, ein Reallohnverlust ist auf Grund der darüber liegenden Inflationsrate abzusehen.

Um dieser einseitigen Absenkung zu begegnen, haben die Betriebsräte ein Mitbestimmungsrecht, das sie wohl - nicht nur in Frankfurt - häufig nutzen werden. Sie können den Eingruppierungsvorschlägen widersprechen, wenn die entsprechenden Arbeitsbeschreibungen die Tätigkeiten der Beschäftigten nicht richtig erfassen. Ist die Arbeit höherwertig als vom Arbeitgeber dargestellt, ist selbstverständlich auch eine höhere Eingruppierung erforderlich.

"Erstaunliche Dinge"

In diesem Zusammenhang konstatiert man in Frankfurt, es "geschehen erstaunliche Dinge." Mittlerweile entsteht hier der Eindruck, Stellenbeschreibungen seien zwar von den zuständigen Vorgesetzten erstellt, dann aber durch Personalabteilungen zurecht gestutzt. Bei fast 1.500 Beschäftigten von Siemens VDO in Karben etwa liegt das bisherige Tarifgehalt bei den so genannten "Überschreitern" um bis zu 1.400 € höher als das zukünftige. Der Betriebsratsvorsitzende Udo Meides: "Die Stimmung in Karben ist gereizt" - verständlich.

Eigentor von Siemens

Bei Siemens VDO in Schwalbach hat der Betriebsratsvorsitzende Reiner Liebl-Blöchinger ein anderes Konfliktfeld im Visier. Hier sollen Sekretärinnen und Teamassistentinnen durch zentrale Vorgabe deutlich abgesenkt werden. Sie wehren sich, weil sie wie ihre Kolleginnen in Erlangen (siehe "Stille Trauer") ihre Tätigkeit entwertet sehen. Und so entsteht plötzlich Widerstand in einer Gruppe, auf deren Loyalität sich viele Chefs bislang besonders verlassen konnten, wie der Betriebsratsvorsitzende erklärt: "Vielleicht sind sich die Verantwortlichen bei Siemens noch gar nicht klar, dass sie sich hier ein riesiges Eigentor schießen."

Ein ähnliches Bild bietet sich im Schaltanlagenwerk Fechenheim mit rund 850 Beschäftigten, deren Tarifentgelte um bis zu 1.400 € abgesenkt werden sollen. Früher suchte man händeringend Facharbeiter, jetzt führt man ihnen vor, dass sie wie Angelernte bewertet werden sollen. Ertan Dirik, der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende in Fechenheim: "Wir wehren uns dagegen, dass Facharbeit entwertet werden soll."

IG Metall warnt vor Folgen rigoroser Kostensenkungspolitik

Martin Weiss, der für die IG Metall die ERA-Einführung in den Siemens-Betrieben der Rhein-Main-Region koordiniert, warnt Siemens, "dass die rigorose Kostensenkungspolitik nicht nach hinten losgeht." Nach seiner Überzeugung wird Siemens "einiges zu tun haben, den entstandenen Motivationsverlust wieder auszugleichen." Die IG Metall jedenfalls wird gemeinsam mit ihren Betriebsräten alles tun, um eine korrekte Umsetzung des ERA-Tarifvertrags zu erreichen.