Siemens Dialog
https://www.dialog-igmetall.de/nachrichten/interne-dienstleister-in-der-siemens-ag
05.05.2024, 07:05 Uhr

Interne Dienstleister in der Siemens AG

  • 30.04.2009
  • Allgemein

Über 23 Prozent der deutschen Siemens-Beschäftigten arbeiten in Management- oder Supportfunktionen, vor allem in Cross-Sector Business und Services sowie Corporate Units. Zusammen mit den Supporteinheiten der Sektoren dürfte der Anteil noch höher liegen - für einige Betriebsräte in Erlangen G guter Grund, sich intensiv mit diesem Bereich auseinanderzusetzen.

In der Tat muss die Situation des Support-Bereiches und seiner Beschäftigten aus vielen Perspektiven betrachtet werden, um allen Aspekten gerecht zu werden. Nachfolgend ein Gastbeitrag zu diesem Thema, den die Betriebsräte der Liste "<link http: www.miteinander-erlg.de miteinander _blank external-link-new-window>undefinedmitEINANDER" dem Siemens Dialog freundlicherweise zu Verfügung gestellt haben:

 

Eigentlich sind alle, die nicht in Werken oder Werkstätten produzieren, Dienstleister. Und selbst dort gibt es noch viele Supportfunktionen (Dienstleistungsaufgaben). Ihre Gehälter sind so vielfältig wie ihre Aufgaben und reichen von den untersten Entgeltgruppen (mit hohem Frauenanteil) bis in die Topetagen.

In der Krise die ersten

In Krisenzeiten sind diese Einheiten meistens als erste von Einsparungen betroffen: Rückläufige Auftragseingänge zwingen die Sektoren zu Kosteneinsparungen. Auf der Suche nach kurzfristig zu realisierenden Einsparmöglichkeiten steht die Reduzierung (abteilungsfremder) Dienstleistungen regelmäßig an erster Stelle. Die Entscheidungen darüber sind bestimmt von Umfang und Art der kurzfristigen zu erzielenden Einspareffekte. Ihre langfristigen Auswirkungen spielen aus Sicht der betroffenen Geschäftseinheiten zu diesem Zeitpunkt nur eine nachgeordnete Rolle.

Wir erwarten in dieser Situation zweierlei:

1. Aus Sicht der Siemens AG eine kritische Überprüfung der langfristigen Auswirkungen solcher Entscheidungen in Bezug auf die Siemens AG insgesamt und gegebenenfalls ein Gegensteuern: Nicht alles, was aus Sicht der jeweiligen Geschäftseinheiten zweckmäßig erscheint, muss auch aus Sicht der Siemens AG längerfristig und insgesamt betrachtet sinnvoll sein.

2. Aus Sicht der Dienstleister kundengerechtes Optimieren und zukunftsorientiertes Modernisieren der eigenen Dienstleistungen, sowie das Überbrücken der Krisenzeiten mit kürzeren Arbeitszeiten und mehr Freizeit für die Mitarbeiter.

Billig, überall, fremdgesteuert

In der Siemens AG wird - offensichtlich nicht nur beim IT-Support – die Methode angewendet, Dienstleistungen entweder billiger zu machen und dann in Billiglohnländer auszulagern oder in jedem Sektor / Division parallel mit ähnlichen Aufgabenstellungen noch einmal zu platzieren. Nach der jetzt offensichtlich neuen „Management-Philosophie“ werden Dienstleistungen insbesondere in Cross-Einheiten als Sparpotential zur Realisierung kurzfristig konjunkturell geforderter Kostensenkungsprogramme genutzt.Das alles ist sicher nicht die optimale Lösung für das Geschäft mit Dienstleistungen.

Unser wichtigster Produktivitätsvorteil

Neben einem hohen Automatisierungsgrad sind qualifizierte geschäftsnahe Dienstleistungen unsere wichtigsten Produktivitätsvorteile im internationalen Vergleich. Dienstleister in der Siemens AG müssen nicht in erster Linie billig, sondern sie müssen hoch qualifiziert, effektiv und von professioneller Hand geführt sein. Nicht selten sieht die Realität anders aus. Insgesamt sind die Dienstleistungen in der Siemens AG nicht nur unterschiedlich und unterschiedlich bezahlt, sondern auch unterschiedlich (gut) organisiert und  erfolgreich. Da gibt es viel Verbesserungspotential - in einem auf die großen Herausforderungen unserer Zeit ausgerichtetem Unternehmen sollten wir es nicht verschenken. Angesichts der weltweiten Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft ist hier zügiges Handeln geboten.

Fragestellungen zur Organisation und Stellenwert

1. Zentral oder dezentral: Welcher Teil der internen Dienstleitungen ist am besten direkt den jeweiligen Geschäftseinheiten zu zuordnen? Welcher sollte besser zentral für eine Division, den Sektor oder die Siemens AG insgesamt erbracht werden? Welcher sollte weltweit von einer Stelle aus erbracht und welcher kann wirksamer mit Kenntnis der konkreten Bedingungen und/oder Personen vor Ort in den jeweiligen Regionen und Standorten organisiert werden? Wie sind die Schnittstellen zwischen diesen Dienstleistungen zu gestalten?

2. Wer entscheidet: Stabsstelle oder Kunde - wer in der Siemens AG entscheidet über Art und Qualität der zu erbringenden internen Dienstleistungen, der jeweilige interne Kunde oder eine übergeordnete Dienststelle/Stabsabteilung der Division, des Sektors oder der Siemens AG?

Normalerweise entscheidet und verantwortet der Leiter einer Geschäftseinheit (auf Basis einer Analyse seines Marktes/Kunden) über Art, Qualität, Preis und Standardisierung der von seiner Geschäftseinheit angebotenen Produkte.
Warum haben die Leiter der meisten internen Dienstleistungsanbieter diese Möglichkeit nicht? Ist die Gewährleistung marktgerechter Angebote nicht effektiver über Benchmarking / Revisionen sicherzustellen, statt über Vorschriften einer übergeordneten, für die Auswirkungen ihrer Entscheidungen auf das jeweilige Dienstleistungsgeschäft nicht verantwortlichen Stabsstelle?

3. Kundennutzen oder Governance: Derzeit sind diese Fragestellungen an verschiedenen Stellen im Unternehmen für die unterschiedlichen Dienstleistungen unterschiedlich beantwortet. Die unterschiedliche Akzeptanz und Zufriedenheit mit diesen Dienstleistungen bei den siemens-internen Kunden ist sicher ein Zeichen dafür, dass die getroffenen Entscheidungen über die Organisation der jeweiligen Dienstleistungen von unterschiedlicher Qualität sind.

Insbesondere die häufig angewendete Methode, interne Dienstleistungen dadurch billiger zu machen, dass die Nutzerfreundlichkeit für die internen Kunden verschlechtert wird, ist sicher nicht zielführend. Für die siemens-eigenen Kunden bedeutet das:
- einen höheren Klärungsaufwand,
- sie müssen ihre Arbeitsweisen den gelegentlich schwer nachvollziehbaren Dienstabläufen und -vorschriften ihrer Dienstleistungslieferanten anpassen statt umgekehrt und
- auf sie werden in zunehmendem Maße fachferne Teilaufgaben abgewälzt, welche von den Dienstleistern früher kostengünstiger, schneller und besser abgewickelt wurden – schon allein deshalb, weil dies ihre Kernkompetenz und ihr tägliches Geschäft war.

Der Übergang vom Behördendenken zum modernen, kundenorientiertem Dienstleistungsgeschäft ist an vielen Stellen des Unternehmens noch nicht wirklich gelungen. Da liegt ein erhebliches Verbesserungspotential. Das Heben dieses Potentials ist die wesentlich effektivere und zukunftsweisende Methode anstelle von Personalabbau, Outsourcing und Entgeltreduzierungen. Der Hinweis auf die Governancefunktion mancher Dienstleister ist nur ein schwacher Versuch, die Behördenmentalität im Dienstleistungsbereich über die Zeit zu retten.

Handlungsbedarf für Betriebsräte

Betriebsräte und Gesamtbetriebsrat sollten sich rechtzeitig einschalten, um einen auf Sicht gesehen unsinnigen Arbeitsplatzabbau in diesen Bereichen  rechtzeitig entgegen zu treten. Das oben unter 1. genannte Thema („Aus Sicht der Siemens AG“) gehört auf Seiten der Arbeitnehmervertreter in den Aufgabenbereich von Gesamtbetriebsrat und Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat. Das zweite Thema („Aus Sicht der Dienstleister“) fällt in die Zuständigkeit der betroffenen örtlichen Betriebsräte.

Aufruf an die Arbeitnehmervertreter in der Siemens AG: Forum für interne Dienstleister

Die Arbeitsplätze dieser Kolleginnen und Kollegen sind häufiger kurzfristig gefährdet, da sie in der Regel nur indirekt und auf längere Sicht gesehen den Erfolg eines Geschäftes beeinflussen. Die starke Konzentration der Siemens AG auf die drei großen Sektoren verstärkt diesen Trend. Umso mehr müssen Betriebsräte und Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat diesen Mitarbeiterkreis stärker in den Fokus ihrer Arbeit rücken und diesen Mitarbeiterkreis seiner Bedeutung für das Unternehmen entsprechend vertreten.

Dazu brauchen wir zunächst einmal möglichst schnell kompetente Ansprechpartner und Zuständigkeiten in den Betriebsräten, im Gesamtbetriebsrat sowie bei den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat. Ein - von der IG Metall organisiertes - gemeinsames (Internet-)Forum für alle Dienstleister der Siemens AG wäre ein weiterer wichtiger Schritt. Damit wird ein zügiger Erfahrungsaustausch unter den Beschäftigten dieser Bereiche und ihren Interessenvertretern ermöglicht. Darauf aufbauend können dann weitere konkrete Maßnahmen sinnvoll abgeleitet und umgesetzt werden.