Siemens Dialog
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06.05.2024, 19:05 Uhr

NCI: Vom traurigen Ende eines beispielhaften Projekts

  • 12.05.2005
  • Konzern

Seit kurzem hat sich das NCI einen neuen Server für seinen Internet-Auftritt gesucht. Bislang hatte die IG Metall München den Internet-Auftritt des NCI gehostet. Außerdem hat die IG Metall-Fraktion im Betriebsrat Hofmannstraße die Fraktionsgemeinschaft mit dem NCI gelöst. Was sind die Gründe dafür?

Das Siemens-Mitarbeiter-Netzwerk NCI (Network Cooperation Initative) ist im betrieblichen Konflikt um den Personalabbau in der Siemens-Netzwerksparte am Standort München-Hofmannstraße im Herbst/Winter 2002/03 entstanden. Siemens wollte damals kurzfristig 2.600 Stellen abbauen, u.a. per Entsorgung mittels einer Beschäftigungsgesellschaft BeE. Betriebsrat und IG Metall hatten damals ein Gegenkonzept entwickelt - mit einem Zukunftskonzept für die Netzsparte, mit Arbeitszeitverkürzung statt Personalabbau etc. Außerdem setzte der Betriebsrat auf Freiwilligkeit: Entweder Entscheidung für die BeE oder Festhalten am Arbeitsplatz bei Siemens - mit dem Risiko einer Kündigung.

Siemens sprach dann im Januar 2003 über 160 betriebsbedingte Kündigungen aus. Siemens isolierte zudem Beschäftigte mit besonderem Kündigungsschutz (z.B. Jubilare), die ebenfalls auf den Abbaulisten standen, in Extra-Abteilungen. Fast alle Gekündigten widersprachen der Kündigung und haben inzwischen vor dem Arbeitsgericht gewonnen. Sie bekommen neue Arbeitsplätze bei Siemens, ebenso wie die gemobbten Beschäftigten mit besonderem Kündigungsschutz.

Für diesen Erfolg hat das Siemens-Mitarbeiter-Netzwerk NCI eine wesentliche Rolle gespielt,

+ indem es für alle vom Personalabbau Betroffenen eine Anlaufstelle geboten hat,

+ indem es die praktische Solidarität untereinander organisiert und für den nötigen Zusammenhalt gesorgt hat,

+ indem es den Betroffenen geholfen hat, mit ihrer existenziellen Krise (Kündigung, Jobverlust) besser fertig zu werden,

+ indem es bei den Kündigungsschutzprozessen regelmäßig Öffentlichkeit hergestellt hat, im Gericht und in den Medien,

+ indem es nützlichen (juristischen) Rat zur Prozessvorbereitung geliefert und den Stand der Kündigungsschutzklagen ständig dokumentiert hat.

Das NCI hat dabei praktisch demonstriert,

+ wie die Selbsthilfe der Betroffenen in einer betrieblichen Krise funktionieren kann,

+ was eine Selbsthilfe-Organisation in einem reinen Angestelltenbetrieb mit relativ hohem Gehaltsniveau und mit schwachen gewerkschaftlichen Strukturen bewirken kann,

+ wie gegen Personalabbau ein breites Bündnis z.B. mit den Kirchen, hergestellt werden kann,

+ wie Selbstorganisierung und gewerkschaftsorientierte Basisarbeit künftig aussehen können.

Die IG Metall hat das Siemens-Mitarbeiter-Netzwerk NCI bislang unterstützt, weil das NCI etwas geleistet hat, was eine Gewerkschaft (aus verschiedenen Gründen) derzeit allein nicht schaffen kann.

Dabei hat es immer wieder Probleme gegeben, die jetzt zur Trennung geführt haben. Diese Probleme haben folgende strukturelle Ursachen:

+ Die Auseinandersetzung am Standort Hofmannstraße hat gezeigt, dass Gewerkschaft, Betriebsrat und Belegschaft auch zum Konflikt bereit sein müssen, um im konstruktiven Dialog einen Erfolg zu erreichen. Aber: Konflikt als Selbstzweck hilft nicht den Beschäftigten.

+ Einfach gestrickte Gemüter sehen den Konflikt Hofmannstraße als DAS Modell für erfolgreiche Arbeitnehmervertretung.

+ Das NCI hat einen basisdemokratischen Anspruch, aber keine demokratischen Strukturen. Wenn es Probleme gab, war es keine/r gewesen.

+ Das NCI mutiert zum selbsternannten Verfechter von Arbeitnehmerrechten in vielen Konflikten (Bayer, MAN etc.). Das schadet häufig, weil es die Arbeitnehmerseite spaltet. Außerdem geht der Siemens-Fokus verloren.

+ Gewerkschaftsschelte ist einfach, aber Erfolge sind in der Krise schwer zu bekommen. Aufrufe zum „konsequenten Kampf“ wirken da eher lächerlich.

+ Bei den Betriebsratswahlen 2004 in der Hofmannstrasse hat das NCI gerade einen von 31 Sitzen gewonnen. Es sieht sich aber selbst als einzig wahre Interessenvertretung und versucht, den Betriebsrat von außen zu dominieren.

Fazit: Ein-zwei-drei-viele betriebliche Siemens-Mitarbeiter-Selbsthilfe-Netzwerke sind unbestritten nötig und helfen den Beschäftigten. Aber eine Fundamentalopposition mit undurchsichtigen Strukturen, die überall mitzumischen versucht und sich selbst als „bessere Gewerkschaft“ stilisiert, ist überflüssig.