Siemens Dialog
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15.05.2024, 04:05 Uhr

Scherbenhaufen ohne Perspektive

  • 14.02.2008
  • Konzern

Die Betriebsräte und die Beschäftigten der zum 31.12.07 geschlossenen Schenker Industrial Logistics Paderborn fordern ihre Weiterbeschäftigung beim Vorbesitzer Fujitsu Siemens Computers in Paderborn ein. Noch im Feburar 2008 finden zu diesem Vorgang Arbeitsgerichtsverhandlungen in Paderborn statt.

Die Ersatzteillogistik von FSC war mit großen Versprechungen für eine "gesicherte Zukunft" an die Schenker Industrial Logistics Paderborn (<link http: www.schenker.de deutsch dienstleistungen logistik sil firmenprofil.html _blank external-link-new-window>undefinedSIL), ein Joint-Venture-Unternehmen von Schenker und Siemens, ausgegliedert worden. Früher arbeiteten hier über 100 Mitarbeitern, vor der Ausgliederung waren es knapp 60 (siehe "Desaster" bei SIL).

Angedacht war zunächst, das Hauptgeschäft des Ersatzteillagers von Paderborn in die Nähe von Mainz zu verlagern. Den Mitarbeitern versprach FSC, dass zumindest 29 Mitarbeiter bis Ende 2009 in Paderborn verbleiben sollten und bis dahin die Auslastung gesichert sei. Aussagen der SIL zufolge sollten weitere Kunden akquiriert und so die Arbeitsplätze in Paderborn längerfristig stabilisiert werden. Die übrigen Mitarbeiter sollten Arbeitsplatzangebote in der Nähe Paderborns, bzw. im Bundesgebiet bekommen, oder das Unternehmen gegen Zahlung einer Abfindung verlassen. Auf der Grundlage dieser Aussage stimmten die Mitarbeiter dem Betriebsübergang zu.

Leere Versprechungen?

Von diesen Zusagen ist heute allerdings auf der Firmenseite keine Rede mehr, im Gegenteil: SIL wurden vom Vorbesitzer FSC sogar Aufträge entzogen. Unter anderem als Folge davon ist der Betrieb seit dem 31.12.2007 einschließlich seines Lagers in Paderborn mit zuletzt 29 Beschäftigten geschlossen. Die Arbeitsplätze sind weg und die Mitarbeiter stehen jetzt vor einem Scherbenhaufen ohne Perspektive.

Im Vorfeld dieser Schließung fanden zwischen Betriebsrat und Unternehmensvertretern die für diesen Fall gesetzlich vorgeschriebenen Verhandlungen zum Interessenausgleich und Sozialplan statt. Bis dahin hatten die Betriebsräte bei der Geschäftsleitung der SIL einen Stopp der Verlagerung aller Ersatzteile an den bereits erwähnten Standort in der Nähe von Mainz erwirkt. Diese Verhandlungen endeten am Nachmittag des 30.11.07 mit weitgehender Einigung; lediglich einige Formulierungen waren noch anzupassen. Die Verhandlungspartner verständigten sich darauf, am nächsten Werktag, dem 03.12.07, im Rahmen einer Betriebsversammlung die Mitarbeiter zu informieren und deren Zustimmung einzuholen.

Fakten schaffen bei Nacht und Nebel

Wie sich herausstellte, hatten sie dabei die Rechnung ohne FSC gemacht. Noch am selben Abend torpedierte das Unternehmen die Vereinbarungen zwischen der SIL und den Betriebsräten. In einer sprichwörtlichen, offenbar längerfristig geplanten Nacht- und Nebelaktion verschafften sich ca. 10 FSC-Mitarbeiter ohne Wissen und Duldung von SIL-Betriebsrat und -Betriebsleitung widerrechtlich Zutritt zu den Räumlichkeiten und dem EDV-Netzwerk der SIL. Das Ziel der Aktion: Ca. 70 Leiharbeiter und etwa 30 LKW waren angeheuert worden, um das Lager in Paderborn komplett zu räumen. Die Aktion dauerte die ganze Nacht und wurde am darauf folgenden Samstag Nachmittag beendet.

Betriebsräte und Mitarbeiter von SIL mussten fassungslos mit ansehen, wie das Räumkommando ihnen ihre Existenzgrundlage entzog. Eine Intervention von Mitarbeitern beim Werkschutz wurde mit Drohgebärden durch die FSC-Verantwortlichen gegen die SIL-Geschäftsleitung - die zwischenzeitlich informiert worden war - beendet.

Die offizielle Begründung für dieses Husarenstück lautet, die Verantwortlichen bei FSC hätte Sorge um ihre Ersatzteile gehabt, weshalb man sich genötigt gesehen hätte, diese in Sicherheit zu bringen. Verstöße gegen Recht und Gesetz bestreitet man natürlich, obwohl sie nach Ansicht der Betriebsräte nachweisbar begangen wurden. Eine offizielle Stellungnahme von FSC zu diesem Vorgang gegenüber dem SIL-Betriebsrat hat es bis zum heutigen Zeitpunkt nicht gegeben; der ausgehandelte Sozialplan ist bis heute nicht in Kraft.

Die Betriebs- und auch die Geschäftsleitung der SIL hat gegenüber den Behörden im Zusammenhang mit den zwischenzeitlich ausgesprochenen Kündigungen gerade erklärt, dass der Betriebsübergang aus ihrer Sicht von der FSC GmbH zur SIL rechtswirksam gar nicht stattgefunden hat. FSC bestreitet dies - es deckt sich jedoch mit der Auffassung des SIL-Betriebsrats und der betroffenen Mitarbeitern, die bereits beim Arbeitsgericht auf Weiterbeschäftigung bei FSC klagen.

"Klassenkampf per Handelsregister"

Volker Kotnig, erster Bevollmächtigter der IG Metall Paderborn, kritisiert die Verantwortlichen bei FSC heftig: "Durch diese Vorgänge verliert FSC Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit. Es ist FSC - offenbar sorgfältig vorbereitet - gelungen, einen Weg zu finden, langjährig beschäftigte Mitarbeiter durch die kalte Küche zu entsorgen und sich aus der grundgesetzlich vorgeschriebenen sozialen Verantwortung zu stehlen. Das ist Klassenkampf per Handelsregister!"

Kotnig fordert FSC dazu auf, sich von dem geschilderten Vorgehen zu distanzieren und den Mitarbeitern bei FSC in Paderborn dauerhafte Arbeitsplätze anzubieten. Möglichkeiten dazu bestehen u. a. in der sogenannten Wiedervermarktung. Es fehlt allein am Willen des Unternehmens, seine "verlorenen Kinder" zurück zu holen.