Siemens Dialog
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10.05.2024, 05:05 Uhr

„Schluss mit dem Ausbluten!“

  • 14.02.2003
  • Konzern

Betriebsversammlung Mch H: Es herrscht noch lange kein Einklang – BR ruft Geschäftsleitung zur Wende auf

Die Versammlung am gestrigen Donnerstag am Standort Hofmannstraße war seit längerem wieder einmal eine „Ordentliche Betriebsversammlung“. Das ist aber auch so ziemlich alles, was einen Hauch von Normalität vermittelt. Der monatelange Konflikt zwischen Belegschaft und BR auf der einen und Betriebsleitung sowie Personalabteilung auf der anderen Seite ist längst nicht ausgestanden. Frühere Appelle an die Solidarität zwischen akut betroffenen Opfern des Stellenabbaus und solchen, die verschont blieben, sind offenbar beherzigt worden – und sei es nur, weil jedem klar ist, dass die Grenzen fließen und es auch ihn aus heiterem Himmel treffen kann. Die Beschäftigten jedenfalls identifizieren sich unverkennbar mit den Kolleginnen und Kollegen, die per Kündigung, beE oder Aufhebungsvertrag ihren Tisch geräumt haben.

 

BR-Vorsitzender Heribert Fieber fasste kurz die bekannte Entwicklung seit Anfang Januar zusammen, anschließend ging es um die dabei unbewältigt gebliebenen oder neu aufgekommenen Konfliktfelder. Und an denen herrscht kein Mangel: Da sind die zahlreichen Verstöße gegen den Kündigungsschutz, sei es bei über hundert Jubilaren, bei Schwerbehinderten, BR-Ersatzmitgliedern oder sozialen Härtefällen. Da ist der (mittlerweile gescheiterte) Vorstoß von Zentralvorstandsmitglied Peter Pribilla, nach dem misslungenen Frontalangriff auf den Jubilarschutz diesen im Dialog mit GBR und BR durch Neudefinition der Zumutbarkeit ersatzweiser Arbeitsplätze aufzuweichen; vor allem aber sind da die Prozesse Gekündigter gegen Siemens, die sich bislang nahtlos in die Pannen der ICN-Führung einreihen, sowie weiterhin die Unsicherheit, wie es nun weitergeht, angefacht durch mangelnde Information von BR und Belegschaft und spektakuläre Einzelfälle. So wandte sich beispielsweise ein MA an den BR, man habe ihn unverbindlich angesprochen, ob er sich theoretisch eine Auslandsverwendung vorstellen könne. Wenige Tage später erhielt er ein Schreiben, das ihm nicht nur seinen geplanten Einsatz als Tatsache mitteilte, sondern auch gleich darauf hinwies, auf Grund der unsicheren Entwicklung könne man ihm ein Reintegration bei seiner Rückkehr nicht gewährleisten und plane daher für diesen Zeitpunkt sein Ausscheiden „in gegenseitigem Einvernehmen“.

 

Vor dem Münchner Arbeitsgericht sind etliche Kündigungsschutzklagen gelandet, flankiert von formalen Aspekten wie einstweiligen Verfügungen mit dem Ziel der vorläufigen Weiterbeschäftigung und der Aufhebung nicht gebilligter Freistellung. Hier hat Siemens bislang ausschließlich Schlappen eingesteckt, obendrein begleitet von lebhaftem Medieninteresse; dass dabei Pannen wie das Fernbleiben der Firmenvertreter von Gerichtsterminen passierten, hat das Bild des Unternehmens bei Richtern und Medien nicht eben verbessert. Auch bei Klägern und den zahlreich erscheinenden Ex-Kollegen sorgt dies für weiteren Zündstoff, man fühlt sich, wie es im Forum des Siemens Dialogs zu lesen war, „nicht einmal mehr ein Erscheinen vor Gericht wert“.

 

Die Geschäftsleitung scheint ihrerseits entschlossen, ihre nur mäßig erfolgreiche Taktik aus Verschleierung der eigenen Pläne und Tunnelblick hinsichtlich der betrieblichen Realitäten weiter zu verfolgen. Die gesetzlich vorgeschriebene Information des BR lässt ungebrochen in einem Maß zu wünschen übrig, das den BR zu einer Strafanzeige wegen Behinderung seiner Arbeit getrieben hat. So legte etwa Betriebsleitungssprecher Rolf-Dieter Kasch der BV gestern eine Folie mit Fakten über den bisherigen Abbau vor, die der BR zuvor nie zu Gesicht bekommen hatte. Seine eigentliche Absicht, damit zu unterstreichen, dass derzeit noch rund 660 „ungelöste Fälle“ bestehen, ging schnell in Nachfragen über die aufgeführten Zahlen unter. Das Management geht demnach zur Zeit davon aus, 108 Stellen über Direct Placement, 150 per Kündigung, 342 in die beE und 160 via Aufhebungsvertrag gekürzt zu haben.

 

Ein anderer offener Streitpunkt ist der Kündigungsschutz für Teilnehmer an der Arbeitszeitverkürzung: Gewinnen Gekündigte ihre Klagen auf Weiterbeschäftigung und kommen zurück, werden laut Kasch „dafür andere gehen müssen“ – was aber, wenn diese anderen bis dahin selbst bedingten Kündigungsschutz genießen? Die Antwort darauf bleibt die Leitung schuldig, dafür betonte Kasch wiederholt, dass es für die potenziellen Rückkehrer „hier im Hause keine Arbeit mehr gibt“. Der erregte Zwischenruf „Lüge!“ aus dem Plenum zeigte, wie man das unter den Beschäftigten sieht. Das und eine Flut von beim BR eingehenden Hinweisen aus den Abteilungen, man drohe sich dort mit dem Fehlen dringend benötigter Kräfte das Geschäft selbst kaputtzumachen, wird vom Management schlicht abgestritten.

 

Statt auf diese Vorwürfe einzugehen, reagiert etwa PA-Leiter Mathias Bellmann äußerst pikiert auf die unschönen Folgen der mittlerweile öffentlichen Diskussionen: ein „Missbrauch der Sprache“ finde dort (unter anderem im Siemens Dialog) statt, durch „Provokation“, „Diffamierung“, „Schlagworte“ und „Aufrufe zu Solidarität“(?!?). Zudem verrate man etwa Vergleiche der Alterstruktur zwischen dem Standort insgesamt und den Gekündigten Betriebsgeheimnisse, die der Konkurrenz zu Gute kämen. Kommentar Fieber: „Wenn man will, dass Mitarbeiter und Betriebsrat schweigen, muss man so mit ihnen umgehen, dass sie noch dazu schweigen können.

 

(hr)