Siemens Dialog
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27.04.2024, 17:04 Uhr

"Erosion des Rechsbewusstseins"

  • 10.06.2008
  • Allgemein

Nach Bekanntwerden der Telekom-Bespitzelungen tauchte im Siemens-Umfeld eine Frage auf, die niemand als erster laut stellen mochte: Ist es womöglich auch bei Siemens zu illegalen Überwachungen gekommen? Die Antwort, glaubt man der jüngsten Aussage des bisherigen Hauptzeugen in der Affäre, lautet "Ja".

Wie die den Prozess gegen den früheren Siemens-Manager Reinhard Siekaczek aufmerksam beobachtenden Medien berichten, bestätigte dieser am Montag, die frühere Betriebsratsspitze der Münchner Hofmannstraße sei durch Detektive bespitzelt worden.

Stasi-Methoden gegen Betriebsratsspitze Mch H

Was Siemens-Kenner in diesem Zusammenhang zwangsläufig vermuten, bestätigte der Angeklagte: Es handelte sich bei den Opfern der illegalen Überwachung um den früheren Betriebsratsvorsitzenden Heribert Fieber und seinen Stellvertreter Leo Mayer.

Beide waren dem damaligen Management im Zusammenhang mit dem für Siemens unerwartet harten Widerstand gegen die erste große Abbauwelle bei COM im Jahr 2002 ein Dorn im Auge; dass die damalige ICN-Führung in der Wahl ihrer Mittel nicht zimperlich war, zeigte bereits der unrühmliche Vorgang, bei dem vertrauliche Daten des Betriebsrats in großem Umfang von den Servern abgeschöpft und für eigene Zwecke ausgewertet wurden.

"Erosion des Rechsbewusstseins"

Siekaczek erklärte nun, der damalige ICN-Personalchef Matthias Bellmann (Foto) sei über die Ausforschung der IG Metall-Betriebsräte informiert gewesen und habe das Ziel verfolgt, die IG Metall-Fraktion zugunsten der AUB zu schwächen; Bellmann habe ihn angewiesen, die Rechnung der Detektei zu begleichen, weil er über seine "Nebentätigkeit" in Sachen Schwarzgeld eingeweiht gewesen sei. Der Richter Peter Noll fasste zusammen, was sich angesichts dieser Vorgänge für ein Schluss aufdrängt: Eine "Erosion des Rechsbewusstseins bei sämtlichen Beteiligten". 

Bellmann, der sich unter den betroffenen Mitarbeitern auf Grund seiner Unnachgiebigkeit schnell den Ruf eines "Abwrackers" erwarb und sein Engagement unter anderem mit persönlichen Leserbriefen an den Siemens Dialog bewies (siehe Leserbrief: Vorwürfe des Jugendwahns nicht haltbar), wechselte im Jahr 2004 nach dem Ende der Auseinandersetzungen um COM und die Hofmannstraße als Personalvorstand zu Karstadt Quelle - just, als auch hier Personalabbau in großem Umfang auf der Tagesordnung stand. Ein Sprecher des mittlerweile in Arcandor umbenannte Handelskonzerns teilte mit, Bellmann wolle sich zu den Aussagen Siekaczeks nicht äußern; auch von Siemens gibt es bislang keine Stellungnahme.