Siemens Dialog
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29.04.2024, 09:04 Uhr

"Seltsames Rechtsverständnis"

  • 04.09.2008
  • Allgemein

Korruptions- und AUB-Affäre haben Teile der früheren Siemens-Spitze in ein ungünstiges Licht gerückt, was ihre Beziehung zu Regeln und Gesetzen angeht. Nun scheint es, als habe eine Studie schon 2003 grobe Fehler unter anderem in der damaligen Geschäftsordnung des Vorstands kritisiert - und sei komplett ignoriert worden.

Wie die Zeitschrift "<link http: www.capital.de _blank external-link-new-window>Capital" berichtet, erstellte Professor Theodor Baums damals eine Analyse, die im Herbst 2003 Heinrich von Pierer und Karl-Hermann Baumann persönlich übergeben wurde. Baums ist Professor für Wirtschaftsrecht an der Universität Frankfurt und wurde aufgrund seiner Bedeutung für die Corporate Governance-Entwicklung 2005 mit dem Euro Corporate Governance Leadership Award und 2006 mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet (<link http: de.wikipedia.org wiki theodor_baums _blank external-link-new-window>Details).

"Nichtig, pflichtwidrig, unzulässig, unbeachtlich oder rechtswidrig"

"Capital" zitiert aus der Studie geradezu vernichtende Erkenntnisse: Knapp zehn Paragraphen der damaligen Geschäftsordnung des Vorstands seien aufgrund erheblicher aktienrechtlicher Bedenken "nichtig" sowie zum Teil "pflichtwidrig, unzulässig, unbeachtlich oder rechtswidrig". Gemeint ist vor allem die erst Anfang 2008 schließlich abgeschaffte Trennung zwischen Zentralvorstand und Gesamtvorstand. Sie behinderte unter anderem die "Gesamtzuständigkeit und Gesamtverantwortung" des Vorstands, so dass letztlich die "Kontrolle nicht gewährleistet" war; "ein nicht geringer Teil" relevanter Informationen kam dadurch, so das Fazit, nicht dort an, wo er hingehörte.

Am besten ignorieren?

Von Pierer und Baumann reagierten auf die schwerwiegende Kritik des schon damals sehr renommierten Experten erstaunlich gelassen - nämlich praktisch gar nicht. Baumann ließ sich offenbar vom damaligen Chefjuristen Albrecht Schäfer beruhigen, es gebe in derlei Dingen viele verschiedene Rechtsaufassungen; gegenüber "Capital" lehnte er eine Stellungnahme ab. Von Pierer konnte sich laut Bericht zuerst "nicht erinnern" und "nicht vorstellen", dass Baums derart "apodiktisch" (mit großer Bestimmtheit) geurteilt hätte; wenig später erinnerte er sich doch noch und verwies darauf, das Thema sei dann im Aufsichtsrat behandelt worden - was nach "Capital"-Recherche "nachweislich nicht stimmt".