Siemens Dialog
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09.05.2024, 01:05 Uhr

Stimmung zur Mitbestimmung

  • 31.08.2006
  • Allgemein

1976 trat das Gesetz zur Mitbestimmung in Deutschland in Kraft. Zum 30. Geburtstag kommt von den verschiedenen Gruppierungen eine Palette aus Zustimmung, vorsichtiger Distanz und harscher Kritik.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (Bild) bezeichnete am Mittwoch auf einer <link http: www.dgb.de homepage_kurztexte mitbestimmung.htm _blank>Veranstaltung des DGB die Mitbestimmung als "nicht wegzudenkenden Teil der sozialen Marktwirtschaft" - im Grundsatz. Etwas anderes hätte sie natürlich in diesem Rahmen nur schwer sagen können, und so hielt sie sich gleichzeitig die Tür mit Einschränkungen offen: Globalisierung und EU-Binnenmarkt erforderten nach Veränderungen, und kritische Stimmen, die (paritätisch besetzte) Aufsichtsräte für zu groß und zu bürokratisch halten, solle man nicht einfach abtun. SPD-Chef Kurt Beck betonte seinerseits, was unabhängige Untersuchungen längst beweisen: Die Mitbestimmung führt zu mehr Dialog und in der Folge zu den wenigstens Streiks in der ganzen EU - "ein echter Standortvorteil."

An möglichen Veränderungen und einer Anpassung an niedrigere europäische Standards arbeitet unterdessen die nach ihrem Leiter benannte Biedenkopf-Kommission, die bis Jahresende entsprechende Empfehlungen vorlegen soll. Die derzeitige Fassung des Mitbestimmungsgesetzes sieht für Firmen mit über 2.000 Beschäftigten paritätisch besetzte Aufsichtsräte vor; Gegner dieser Regel verschweigen gern, dass der von den Aktionären gestellte Vorsitzende eine zweite Stimme hat. Ende letzten Jahres betraf das Gesetz in Deutschland 729 Unternehmen.

"Zukunftstauglich für europäische und globale Ebene"

In die entgegengesetzte Richtung gehen die Positionen im Arbeitnehmerlager. DGB-Chef Michael Sommer forderte, den Schwellenwert von 2.000 Beschäftigten für paritätisch besetzte Aufsichtsräte zu senken und die zweite Stimme von Aufsichtsratsvorsitzenden abzuschaffen. Auch Jürgen Peters, erster Vorsitzender der IG Metall, verlangte die Weiterentwicklung der Mitbestimmung zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte und lehnt eine Anpassung nach unten ab: "Die Mitbestimmung ist zukunftstauglich für die europäische und globale Ebene." Gleichzeitig forderte er die Internationalisierung der Aufsichtsräte multinationaler Unternehmen und einen Mindestkatalog zustimmungspflichtiger Geschäfte, um strategische Entscheidungen transparenter zu machen. Ein schwerwiegendes Argument für eine paritätische Besetzung haben angesichts aggressiver Hedgefonds selbst Arbeitgebervertreter schon widerstrebend eingeräumt: "Nicht selten sind es gerade die Arbeitnehmervertreter, die die langfristigen Unternehmensinteressen gegen kurzfristige Aktionärsinteressen zur Geltung bringen." Solche Töne gab es im Zusammenhang mit potenziellen Übernahmeversuchen auch schon bei Siemens - und zwar von Arbeitsdirektor ;Dr. Jürgen Radomski ("SiemenSianer 01, August 05").

"Arbeitsbeschaffung für Gewerkschaftsfunktionäre"?

Arbeitgeberverbände und FDP nehmen das Jubiläum für Forderungen zum Anlass, die in ihrer Kompromisslosigkeit schon realitätsfern wirken. Aus dem <link http: www.bdi-online.de _blank>BDI verlautete, die Unternehmen sollten selbst entscheiden können, "welche Art und welches Maß der Mitbestimmung im Aufsichtsrat sie brauchen." Der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Fraktion <link http: www.rainer-bruederle.de _top>Rainer Brüderle (links), für den das Einprügeln auf die Mitbestimmung seit Jahren ein persönliches Steckenpferd darstellt (siehe Gemeinsam gegen Tarifautonomie), kritisierte, die Mitbestimmung behindere die Schaffung von Jobs und diene nur der Arbeitsbeschaffung für Gewerkschaftsfunktionäre. Brüderle, der seit Jahren bei jeder Gelegenheit eine Verminderung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten auf ein Drittel (siehe Attacke auf die Mitbestimmung) fordert, demonstriert damit einmal mehr seine Schwäche für ungewöhnlich dreiste Desinformation.