Siemens Dialog
https://www.dialog-igmetall.de/nachrichten/tauziehen-um-ice-auftrag
15.05.2024, 12:05 Uhr

Tauziehen um ICE-Auftrag

  • 02.11.2009
  • Operativ

Die Deutsche Bahn erweist sich bei der Auftragsvergabe über ein Großprojekt der Zukunft als schwieriger Kunde. Mit vorliegenden Angeboten ist sie unzufrieden und erwägt, den Auftrag über rund sechs Milliarden Euro nach fast 18 Monaten Laufzeit komplett neu auszuschreiben. IG Metall und Arbeitnehmergremien der Branche sind alarmiert - sie warnen eindringlich vor den Folgen für die Beschäftigung.

ICE-Austausch: Die Bahn nimmt Verspätungen in Kauf.

Planmäßige Auftragsvergabe "nicht mehr realistisch"

Ulrich Homburg, Bahn-Vorstand für den Personenverkehr, wird in den Medien mit Aussagen zitiert, da sich die Angebote über bis zu 300 neue Züge nicht wesentlich unterschieden, sei eine komplette Neuausschreibung möglich. Die ursprünglich für Ende 2009 geplante Auftragsvergabe sei "nicht mehr realistisch", so Homburg, zumal ihm offenbar die Kalkulationen zu teuer sind: "Bei der Industrie ist noch nicht angekommen, dass die Preisskala nicht nach oben offen ist."

Strategische Entscheidung mit jahrzehntelanger Wirkung

Betroffen ist das Projekt ICE-X, bei dem ab 2015 bis voraussichtlich 2020 alle Intercitys und die ersten beiden ICE-Generationen ausgewechselt werden sollen - eine strategische Entscheidung mit Auswirkungen über rund 30 Jahre. Während sich die Hauptanbieter Siemens, Bombardier und Alstom mit öffentlichen Äußerungen zurückhalten, nimmt der Bahn-Vorstand kein Blatt vor den Mund, was die möglichen Folgen der außerplanmäßigen Verzögerung betrifft: "Die Frage ist, wer hier was länger durchhält - wir das Weiterfahren mit alten Zügen oder die Industrie den Betrieb leerer Werke."

Poker mit erheblichen Nebenrisiken

Wenig zu kümmern scheint die Bahn, dass sie mit diesem Poker auch tausende von Arbeitsplätzen in der Industrie akut gefährdet, die vielerorts bereits mit sinkenden Auftrageingängen kämpft. Der Branchenausschuss Bahnindustrie der IG Metall, in dem auch Betriebsräte von Siemens Mobility stark engagiert sind, hat daher eine Mitte Oktober eine Resolution zur Sicherung von Arbeitsplätzen und Förderung der Technologie in der Schienenfahrzeugindustrie im Zusammenhang mit dem geplanten Großprojekt ICE-X im Hochgeschwindigkeitsverkehr verabschiedet.

IG Metall-Branchenausschuss fordert Aufrechterhaltung der Ausschreibung

In dieser Resolution weist der Ausschuss angesichts der nunmehr möglicherweise wieder zur Disposition stehenden Ausschreibung darauf hin, dass ein Hintergrund dieser Entwicklung "offensichtlich Bestrebungen um eine erneute Diskussion der zukünftigen Konzeption" der Bahn sind. Solche politisch verursachten Verzögerungen hat es nach seiner Erfahrung schon oft gegeben: "In den letzten 10 Jahren wurden sämtliche Beschaffungsversuche des DB- Fernverkehr wegen 'Strategiewechsel' nicht vergeben." Als Folge konstatieren die Fachleute "eine schwere und inzwischen exitenzbedrohende Belastung der deutschen Bahnindustrie." Das Beschaffungsprojekt ICE X ist, so die Argumentation, "eine zentrale Vorbereitung auf den liberalisierten Fernverkehrsmarkt in Europa" und "für die Wertschöpfung und Arbeitsplätze in Deutschland von gravierender Bedeutung".

Eine weitere Verzögerung stellt aus Sicht des Ausschusses besonders wegen der Wirtschaftskrise ein "fatales Signal für die Zukunftsfähigkeit der heimischen Bahnindustrie und der Deutschen Bahn AG" dar. Als Fazit fordert er nachdrücklich die Aufrechterhaltung der Ausschreibung sowie die Vergabe des Großauftrages ICE X an die heimischen Bahnindustriestandorte.

Schreiben an Politik und Bahn-Vorstand

Diese Resolution ist Teil eines Schreibens des Ersten IG Metall-Vorsitzenden Berthold Huber, das ebenfalls im Oktober an den Vorstand der Deutschen Bahn sowie zahlreiche Verkehrspolitiker im Bundestag ging. Die IG Metall weist darin auf die Abhängigkeit sicherer Arbeitsplätze der deutschen Bahnindustrie von der Bestellpolitik der DB hin und warnt vor "gravierenden Auswirkungen auf die Beschäftigung der deutschen Bahnindustrie", sollte sich die Auftragsvergabe insbesondere für ICE-X weiter verzögern. Huber appelliert daher eindringlich an die Politiker und den Bahn-Vorstand, sich für zügige Entscheidungen zu den Neubeschaffungsprojekten einzusetzen.