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02.05.2024, 07:05 Uhr

Betriebsrätinnentreffen ein Erfolg

  • 05.11.2004
  • Allgemein

Um Fische zu fangen, braucht man Netze - und um Ideen zu fangen, haben Betriebsrätinnen bei Siemens ein eigenes Netzwerk gegründet. Dass es funktioniert und nicht zu viele kleine Fische durch die Maschen gehen, bemerken die Frauen an ganz einfachen Dingen.

Um Fische zu fangen, braucht man Netze - und um Ideen zu fangen, haben Betriebsrätinnen bei Siemens ein eigenes Netzwerk gegründet. Dass es funktioniert und nicht zu viele kleine Fische durch die Maschen gehen, bemerken die Frauen an ganz einfachen Dingen: Beim Treffen herrscht ein Gefühl, dass sich etwas getan hat für die Frauen, dass der Austausch Motivation und damit auch erste Erfolge bringt - und dass die frauenpolitische Arbeit im Betrieb mehr Anerkennung erntet als noch vor wenigen Jahren. Bereits zum achten Mal kam das Netzwerk der Siemens-Betriebsrätinnen Ende September in Kassel zusammen. 36 Kolleginnen aus 20 Standorten aus dem gesamten Bundesgebiet trafen sich 3 Tage lang zum Informationsaustausch, zu gemeinsamen Beratungen und um Strategien zu entwickeln. In Kooperation mit dem DGB-Bildungswerk NRW veranstaltete der Funktionsbereich "Frauen- und Gleichstellungspolitik" IG Metall das Seminar mit dem Thema: "Umstrukturierung und Offshoring in der Siemens AG und die Konsequenzen für Frauenarbeitsplätze".

 

 

Frauenarbeit und Offshoring

 

Frauenarbeitsplätze waren und sind in der Regel von Umstrukturierung und Offshoring unverhältnismäßig stark betroffen. Am Beispiel der Textilindustrie lässt sich nachvollziehen, wie eine ganze Branche mit extrem hohem Frauenanteil Zug um Zug weggebrochen ist. Doch es geht längst nicht mehr nur um angelernte (oder auch qualifizierte) Arbeiten im Produktionsbereich. Siemens-Managern erscheint es durchaus attraktiv, "reproduktive" Arbeiten wie Buchhaltung oder andere standardisierte Service-Leistungen komplett ins billigere Ausland zu verlegen. Wigand Cramer vom Siemens-Team der IG Metall war eingeladen, um die Siemens-Konzernstrategie dahingehend zu erläutern. Wie sich das in den einzelnen Standorten auf die Arbeitsplätze der Frauen bereits auswirkt und voraussichtlich auswirken wird, war Thema der Diskussion.

 

 

ERA-Einführung und Frauenarbeit

 

Ein zweites Schwerpunktthema war die Einführung von ERA und die Auswirkungen speziell für Frauen. Bei Siemens soll ab März 2006 Entgeltrahmenabkommen (ERA) eingeführt werden. Ein höchst kompliziertes Instrument, das die beiden Gruppen in der Metall- und Elektroindustrie, die gewerblichen ArbeitnehmerInnen und die Angestellten, in einen Tarifvertrag fasst. In diesem Zuge muss jeder einzelne Arbeitsplatz neu beschrieben werden. Das heißt: Aufgrund einer genauen Auflistung von zum Teil neu definierten Tätigkeitsmerkmalen wird festgelegt, in welche Gehaltsgruppe ein/e Beschäftigte/r einzugruppieren ist. Der wichtigste Grundsatz, den alle Betriebsrätinnen mit nach hause nahmen: Was nicht beschrieben wird, wird auch nicht bewertet und also auch nicht bezahlt. Eine besondere Krux für Frauen, denn ein großer Teil ihrer Arbeit findet nicht selten im informellen, sozialen Bereich statt. Aus der frauenpolitischen Handlungshilfe der IG Metall werden in diesem Zusammenhang "Fähigkeiten, die Frauen als quasi natürlich zugeschrieben werden, z.B. Kommunikationsfähigkeit, Geduld und Ausdauer, Fingerfertigkeit, Einfühlungsvermögen" erwähnt. Oder auch Arbeiten, die "traditionellen Frauenaufgaben" ähneln, wie Aufräumen und Organisieren. Und weil zu befürchten ist, dass die Geschäftsleitung die Gelegenheit einer neuen Eingruppierung zum radikalen Abgruppieren nutzen möchte, müssen vor allem die Frauen vorbereitet sein, die tatsächlichen Leistungen, die sie bringen, auch im Leistungskatalog wieder zu finden. Die Betriebsräte machen sich auf einen Ansturm gefasst. Um hier vorzubeugen, empfiehlt sich schon jetzt mit einer Selbstaufschreibung zu beginnen und diese mit dem IG-Metall-Betriebsrat zu beraten. (An manchen Standorten wurde damit schon begonnen.)

 

 

Tätigkeitsbeschreibung und Eingruppierung

 

Arbeitsplätze, die typischerweise von Frauen besetzt sind, haben in der Regel völlig andere job descriptions als Arbeiten, die überwiegend von Männern ausgeführt werden. Es geht also nicht nur um den Grundsatz "Gleiches Geld für gleiche Arbeit", sondern "gleiches Geld für gleichWERTIGE Arbeit". So kennzeichnen typische "Frauenberufe" wie zum Beispiel Sekretärin neben Anforderungen, wie sie in Stellenanzeigen formuliert werden, auch Anforderungen an soziale Kompetenzen - von der teaminternen Kommunikation bis zur "Puffer"-Funktion bei eingehenden Telefonaten. Und solche soft skills wie mediatorisches Fingerspitzengefühl oder Organisieren und Koordinieren (ganz nebenbei und ohne Projektplan zum Nachlesen) kommen in keinem Tätigkeitsprofil vor. Mit ein Grund, warum die Qualifikationen von Frauen und Männern oft völlig unterschiedlich bewertet werden. In Stereotypen gesprochen: Die ungestörte, konzentrierte Männerarbeit steht der ständig verfügbaren Frauenarbeit gegenüber, die (im typischen, aber nicht Ideal-Fall) häufig durch äußere Einflüsse unterbrochen wird.

 

Die Einführung von ERA bietet eine historische Chance, die so schnell nicht wiederkehren wird. Auch diese Qualitäten von weiblicher Arbeit systematisch zu erfassen und zu evaluieren, und damit sichtbar zu machen, zu benennen - und in logischer Folge dann auch zu bezahlen, ist deshalb Aufgabe der IG Metall und der BetriebsrätInnen.

 

Die Vorgehensweise erfolgt in vier Schritten:

 

* Selbstaufschreibung: jede/r Beschäftigte fertigt eine detaillierte Liste seiner/ihrer Tätigkeiten selbst an. Vor allem für Frauen wichtig: Keine Selbstzensur nach dem Motto: "Das ist nicht so wichtig, das erledige ich so nebenbei, das kommt selten vor usw."

* Rücksprache mit dem Betriebsrat, inwieweit diese Beschreibung tatsächlich den gesamten Arbeitsbereich umfasst

* Systematisierung unter Berücksichtigung der Anforderungen

* Bewertung und Zuordnung zur Entgeltgruppe (Verhandlungen der Tarifparteien)

 

Zusammenfassend kann angemerkt werden: Eindeutige Vorteile werden durch ERA die Geringverdiener/innen haben, weil für sie (also auch für überdurchschnittlich viele Frauen) die Chance besteht, auf ein höheres Level zu kommen. Das gilt vor allem dann, wenn die eben ausgeführten Überlegungen auch berücksichtigt werden.

 

Dafür setzt sich auch Rüdiger Skrobarczyk, Mitglied der Verhandlungsdelegation des Gesamtbetriebsrates, ein. Er war zum Betriebsrätinnentreffen eingeladen - zum Austausch der auf dem Treffen erarbeiteten Ergebnisse, Forderungen und Anregungen. Ein weiteres Vorgehen mit dem GBR muss noch abgestimmt werden - jedenfalls sind die Belange des Gleichstellungsausschusses längst nicht mehr nur eine Forderung der Frauen.

 

 

ProDi als Teil der Firmenkultur

 

Last but not least stand "ProDi" auf der Tagesordnung des Seminars. Zu einem Austausch über den Stand der Dinge war der aktuelle ProDi-Beauftragte bei CP Jürgen Schmieder zu Gast. Er kam zusammen mit seiner Vorgängerin, Petra Löwe, die jetzt bei CP Germany zuständig ist für Führung, Personalentwicklung und Zusammenarbeit. In einem sind sich alle Seiten einig: Die Bedeutung der Gleichstellungsarbeit für die Kreativität in den Arbeitsprozessen und für eine zeitgemäße Firmenkultur ist unbestritten. Seitens der Geschäftsleitung ist und bleibt ProDi das wichtigste Instrument dafür. Jedoch fehlt es an Verbindlichkeit und konkreten Zielvorgaben. Hier sind aber auch die Beschäftigten in der Pflicht, ihre Wünsche und Vorschläge deutlich zu äußern. Denn - wie ein Blick nach Bremen oder Hamburg oder in den Bereich TS zeigt - in Betrieben, wo konkrete Anforderungen formuliert werden, lassen sich durchaus Verbesserungen erkennen.

 

An Schnittstellen zwischen ProDi und der Arbeit der Betriebsrätinnen jedenfalls mangelt es nicht. Dennoch neu und sehr zu begrüßen: Schmieder erhofft sich Unterstützung vom Betriebsrat. Darüber kann man reden!

 

(ip/rh)