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06.05.2024, 13:05 Uhr

Gläserne Decke

  • 19.08.2005
  • Allgemein

Im vergangenen Juli nahm die britische Wirtschaftszeitung „The Economist“ ein Phänomen unter die Lupe, das seit Jahrzehnten ein Dauerthema ist: Warum gibt es immer noch kaum Frauen in Top-Jobs?

(Grafik: The Economist, Juli 2005)

Vor zwanzig Jahren erfand das Wall Street Journal den Begriff „Gläserne Decke“, um die unsichtbare Barriere zu beschreiben, die Frauen den Zutritt in die oberen Etagen der Unternehmenshierarchie versperrt. In den USA stellte eine eigens für dieses Problem gegründete Regierungs-kommission 1995 nach mehrjähriger Arbeit ernüchtert fest, dass diese Barriere nach wie vor „ungezählten Frauen die Möglichkeit verwehrt, in der privaten Industrie Spitzenpositionen zu erreichen“: Zwar waren über 45 Prozent der Berufstätigen Frauen, zwar geht außerdem an sie rund die Hälfte „Master“-Diplome - trotzdem ist das gehobene Management zu 95 Prozent eine Männerdomäne, in der die unterrepräsentierten Frauen obendrein mit rund 68 Prozent des Verdienstes der Männer unterbezahlt sind. Heute, zehn Jahre später, nehmen Frauen mit acht Prozent einen geringfügig höheren Anteil in den Unternehmensspitzen ein, der Verdienst ist im Vergleich auf 78 Prozent gestiegen. In Japan und Europa bietet sich ein ähnliches Bild. Im Juni 2005 enthielt die Liste der 25 bestbezahlten europäischen CEOs des Fortune-Magazins keine einzige Frau.

Trotz geringer Fortschritte erweist sich das Phänomen der gläsernen Decke als bemerkenswert hartnäckig. Daran ändert auch die Tatsache wenig, dass viele Unternehmen durchaus versuchen, Frauen zu fördern - beispielsweise mit Diversity-Programmen wie Siemens' „ProDiversity“ (ProDi). Ehemals gezielt Männern vorbehaltene Unternehmen wie General Electrics oder IBM haben sogar Vorstandsmitglieder mit der Frauenförderung betraut und sponserten kürzlich gemeinsam mit BP eine Konferenz zum Thema „Frauen als Führungskräfte.“ Als Hintergrund für diesen Stimmungswandel macht der „<link http: www.economist.com _blank>Economist“ die Erkenntnis aus, dass mehr Diversität sich nicht nur gut fürs Image macht, sondern sich in handfesten geschäftlichen Vorteilen auswirkt. Gemischte Gruppen sind effektiver in der Problemlösung; eine US-Studie fand zwischen 1996 und 2000 heraus, dass eine signifikante Beziehung zwischen der Anzahl von Frauen in Top-Positionen und dem finanziellen Erfolg laut Fortune 500 besteht. IBM-CEO Lou Gerstner, der seine Erfolge unter anderem auf die von ihm geförderte Diversität im Unternehmen zurückführt, erklärte dies zu einem auf dem Markt basierenden Konzept: „Es geht darum, unsere Märkte zu verstehen, die heterogen und multikulturell sind.“ IBM zählt heute immerhin sieben Frauen unter seinen 40 Top-Managern.

Bremsen für die Karriere

Warum ist es bei soviel grundsätzlicher Einsicht dennoch so schwer für Frauen, in die Unternehmensspitzen vorzudringen? Einer der Gründe liegt möglicherweise in Unterschieden hinsichtlich Ehrgeiz und Motivation: Eine Studie unter international aktiven US-Unternehmen konstatierte 2002, dass nur neun Prozent der Frauen sich vornehmen, es bis zum CEO zu bringen (Männer 19); ins gehobene Management strebten immerhin 43 Prozent (Männer 54). Andere Studien kommen allerdings zu anderen Ergebnissen.

Frauen, die es in den USA nach ganz oben geschafft haben, geben als Aufstiegsbremse drei Hauptgründe an:

1. Sie sind automatisch von gewissen informellen Zirkeln ausgeschlossen, wie etwa dem gemeinsam Nachtclubbesuch mit potenziellen Kunden.

2. Nach wie vor herrscht bei vielen Männern eine Überzeugung vor, dass Frauen sich weniger für Führungsaufgaben eignen; dass diese Überzeugung oft sogar unbewusst ist, macht ihre Überwindung um so schwerer.

3. Frauen haben weniger Role Models, also Vorbilder für die Spitzenstellen im Unternehmen.

Zu diesen Hürden gesellen sich die bekannten Schwierigkeiten, die sich durch Auszeiten für das Aufziehen von Kindern oder auch die Pflege älterer Familienmitglieder ergeben. Gerade letzteres tritt altersbedingt oft gerade dann ein, wenn eine Karrierestufe erreicht ist, auf der die Weichen für die weitere Entwicklung gestellt werden.

Bescheidene Aussichten

Ob sich all diese Ursachen mit der Zeit von selbst erledigen werden, so das Fazit des "Economist", ist stark zu bezweifeln. In manchen Ländern steuert daher die Politik mit Quotenregeln ein; in Norwegen etwa muss bis Ende 2006 jedes Unternehmen mindestens zwei Frauen im Vorstand haben. Ein anderer Weg ist das in Großbritannien erprobte „Mentoring“, in dessen Rahmen die CEOs von 25 börsennotierten Unternehmen zugestimmt haben, persönlich Frauen zu fördern, die „Vorstandspotenzial“ erkennen lassen. Bezeichnend dabei ist allerdings, dass die wenigsten dieser Unternehmen selbst Frauen als Mentoren finden konnten. Dabei ist die Aufgabe, darüber sind sich viele Manager einig, an sich ziemlich dringend. Chris Clarke, CEO einer „Headhunter“-Agentur und Professor am britischen Henley-Management College, hält Frauen Männern in Schlüsselqualifikationen wie Multi-Tasking, Teamfähigkeit und Kommunikation für überlegen.