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05.05.2024, 22:05 Uhr

Neue Arbeitszeitdebatte

  • 09.07.2010
  • Allgemein

Die IG Metall will mit einer neuen Debatte um die Arbeitszeit den Folgen struktureller Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt vorbeugen. Soeben warnte die OECD, in Deutschland könne es bei anziehender Konjunktur zu einem "jobless growth" kommen, also einem Wachstum, das nicht im selben Maß neue Arbeitplätze schafft. Rückläufige Arbeitsvolumen verstärken den Effekt.

Helga Schwitzer

Helga Schwitzer, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, betonte im Gespräch mit der dpa die zentrale Bedeutung der Sicherung von Arbeitsplätzen durch kürzere und flexiblere Arbeitszeiten. Deren Wirkung hat sich gerade in der Krise hervorragend als Mittel der Arbeitsplatzsicherung bewährt, wie auch die <link http: www.oecd.org dataoecd _blank external-link-new-window oecd>undefinedOECD bescheinigt: "Die wichtige Rolle der Kurzarbeit für die Arbeitsplatzsicherung in der Krise ist wohlbekannt."

Strukturelle Arbeitslosigkeit über Schnitt

Im selben Atemzug stellt die Studie allerdings fest, dass die strukturelle Arbeitslosigkeit in Deutschland über dem OECD-Durchschnitt liegt. Zudem schätzt man, das Bruttoinlandsprodukt könne ohne neue Arbeitsplätze wieder um sieben Prozent wachsen - wenn nämlich Arbeitszeitvolumen und Produktivität parallel auf das Niveau vor der Krise ansteigen. Ein solches Wachstum wird sich über Jahre hinziehen; deshalb hält die OECD es für unwahrscheinlich, dass die Arbeitslosigkeit in den kommenden Monaten weiter sinkt.

Rückläufige Arbeitsvolumen

Auch die IG Metall erwartet laut Schwitzer selbst bei freundlicher Konjunktur, dass in der M+E-Industrie die Arbeitsvolumen aufgrund rapide steigender Produktivität deutlich schrumpfen. Werden die Arbeitszeiten wieder auf den Stand vor der Krise ausgeweitet, könnte damit bis 2012 der Verlust von 300.000 der 3,4 Millionen Stellen in der Branche einhergehen - von Effekten wie Leiharbeit, Befristungen und dergleichen ganz zu schweigen.

Reale 35 Stunden

Die IG Metall will vor diesem Hintergrund eine konsequentere Orientierung an der tariflich festgelegten 35-Stunden-Woche. Vor der Krise hatte sich die real geleistete Arbeitszeit in der Branche im Schnitt auf über 39 Stunden geschraubt: "Davon müssen wir runter, um Beschäftigung zu sichern und Gesundheit zu schützen", warnt Schwitzer.

Vereinbarkeit von Arbeit und Leben

Ein weiterer Faktor in diesem Zusammenhang ist die wachsende Bedeutung der Work Life-Balance, oder, wie es mittlerweile zunehmend genannt wird, die Work Life-Integration. Immer mehr Beschäftigte betrachten die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben als wesentlichen Aspekt ihrer Arbeit; tarifvertraglich definierte Ansprüche etwa auf mehr Selbstbestimmung beim Arbeitszeitkonto kämen dieser Erwartung entgegen. Auf die jeweilige Tätigkeit im Betrieb zugeschnittene Regelungen und individuelle Faktoren könnten den Ansatz weiter abrunden - ein körperlich arbeitendender 50-jähriger benötigt einen anderen Rahmen, als ein projekt- und zielorientierter IT-Ingenieur mit 28 Jahren. Schwitzer fasst in einem Satz zusammen, was am Ende dabei herauskommen muss: "Wir brauchen eine kreative Arbeitszeitpolitik, damit die Vereinbarkeit von Arbeit und Leben nicht mehr einfach hinten runterfällt."