Siemens Dialog
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03.05.2024, 09:05 Uhr

European Governance: "grundsätzliche und schwere Bedenken"

  • 08.06.2011
  • Allgemein

Unter dem Begriff "European Governance" entsteht derzeit eine neue wirtschaftspolitische Steuerung für den gesamten Euro-Raum. Kritiker befürchten tiefe Eingriffe in nationales Recht, unter anderem mit Beschränkungen der Tarifautonomie. Der Siemens-Gesamtbetriebsrat appelliert in einem Brief an die deutschen EU-Abgeordneten, diese Pläne so nicht mitzutragen.

Neoliberaler Richtungswechsel ...

Die Regierungen des Euro-Raums haben ein Gesamtpaket zur Stabilisierung des Euro vorbereitet, das in finanzieller Hinsicht Kredite und Garantien für schlingernde Mitgliedsstaaten gewährleisten soll. Der politische Teil aus Euro-Plus-Pakt und wirtschaftspolitischer Steuerung hingegen zielt darauf ab, den bekannten deutschen Sparkurs auf die EU auszuweiten - einschließlich des Abwälzens der Hauptlasten auf Arbeitnehmer, Rentner und sozial Schwache.

... statt solidarischem Zusammenwachsen

Die europäischen Gewerkschaften schlagen vor diesem Hintergrund Alarm und rufen dazu auf, die geplanten Eingriffe in die Tarifautonomie zu verhindern, die in Gestalt einer "lohnpolitischen Koordinierung" daherkommen sollen, faktisch jedoch Eingriffe in bisherige Tabubereiche - Haushaltspolitik, Löhne, Renten und Sozialsysteme - der Mitgliedsstaaten bedeuten. Auch die IG Metall stellt sich nicht gegen mehr Koordinierung, setzt als Ziel jedoch einen sozialen und solidarischen Euroraum und als Bedingung eine demokratische Legitimation voraus.

Briefe nach Brüssel

Gesamt- und Europabetriebsrat von Siemens haben anlässlich einer entsprechenden Abstimmung am 8. Juni in dieser Woche einen Brief an alle deutschen Abgeordneten des EU-Parlamentes geschickt, in dem sie "gegenüber Teilen der neuen wirtschaftspolitischen Koordinierung grundsätzliche und schwere Bedenken" ausdrücken. Wie die Gewerkschaften machen die Interessenvertreter in den beabsichtigten Maßnahmen eine allgemeine Sparpolitik statt ausgleichender Fiskalpolitik, Investitionen und europaweiter Ausgleichsmechanismen aus, und kritisieren insbesondere: "Vor allem aber werden die Löhne im Konzept der European Governance zu einem hauptsächlichen Hebel, um die unterschiedliche Wettbewerbsfähigkeit im Euroraum anzugehen."

Keine Wettbewerbssteuerung über die Lohngestaltung

Um dem möglichen Missbrauch der geplanten Regelungen zur Einflussnahme auf die Lohnentwicklung zu erschweren, fordern die Betriebsräte die Abgeordneten auf, sich gegen die Sanktionierung aller auf Löhne bezogenen Gesetze einzusetzen, und betonen: "Sicherheitsmaßnahmen für Löhne und Kollektivverhandlungen müssen auch in den Teil der Verordnung aufgenommen werden, der sich auf zu ergreifende Korrekturmaßnahmen bezieht."

Investitionen nicht mit Sparwut ersticken

Um auch die soziale Dimension einer wirtschaftspolitischen Koordinierung zu berücksichtigen, verlangen sie außerdem, dass "Gewerkschaften nicht nur bei den Berichten zu Ungleichgewichten und den politischen Empfehlungen, sondern bereits bei der Erstellung der Indikatoren verpflichtend konsultiert werden". Damit im Zuge der Sanierung von Staatshaushalten nicht die notwendigen Voraussetzungen für Wachstum und Beschäftigung beschädigt und soziale Härten vermieden werden, fordern sie zu guter Letzt den Schutz öffentlicher Investitionen als "Investitionen in die Zukunftsfähigkeit eines jeden Landes".