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29.04.2024, 16:04 Uhr

Im Renditewahn Tausende Arbeitsplätze vernichtet

  • 30.10.2008
  • Allgemein

Der Erste Vorsitzende der IG Metall, Berthold Huber, nimmt Stellung zur Finanzkrise und dem Zusammenhang mit den Positionen der IG Metall. Er fordert "eine Demokratisierung der Wirtschaft für die bessere Alternative zu ungezügeltem Wettbewerb und einseitige Profitmaximierung."

In einem <link http: www.fr-online.de in_und_ausland wirtschaft aktuell _blank external-link-new-window>undefinedGastbeitrag für die "Frankfurter Rundschau" vom 30.10. schreibt Huber:

Wir erleben mit der Finanzmarktkrise "das Ende eines desaströsen Geschäftsmodells", sagt der US-Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz. Es hat die Welt an den Rand des ökonomischen Abgrunds geführt. Wir müssen jetzt alles daran setzen, dass dauerhaft die richtigen Lehren daraus gezogen werden. Denn zurzeit sind der Finanzkapitalismus und die dazugehörige neoliberale Ideologie angeschlagen, aber nicht am Ende. In den Management-Etagen herrscht zwar Verunsicherung, doch immer noch bestimmen aberwitzige Renditeziele der Investoren die Geschäftspolitik in vielen Betrieben.

Es ist kennzeichnend, wenn Arbeitgeber auf die IG-Metall-Tarifforderung mit dem Schreckensruf reagieren: "Die haben nicht mehr alle Tassen im Schrank." Ein Zuwachs der Nettogewinne in der Metall- und Elektroindustrie in den vergangenen vier Jahren um 220 Prozent und Renditeziele von 25 Prozent auf das Eigenkapital pro Jahr gelten dagegen als normal und moralisch gerechtfertigt.

Für die IG Metall ist eine deutliche Einkommensverbesserung ökonomisch vernünftig. Mehr noch: Sie sorgt für eine gerechte Verteilung der Wohlstandszuwächse, und sie bedeutet eine Anerkennung der Leistung der Beschäftigten.

Wenn Arbeitgeber Verteilungsgerechtigkeit für ein "verrücktes" Ansinnen halten, folgen sie neoliberalen Denkmustern. Der Wohlstand der Nationen beruhe auf Gewinnmaximierung, meint Professor Homann, Wirtschaftsethiker der Ludwig-Maximilians-Universität München. Unternehmerisches Handeln diene bereits dem Wohle der Allgemeinheit, deshalb gebe es keine normative Begründung für die Interessen der Arbeitnehmer.

Diese neoliberalen Glaubenssätze sind an der Wirklichkeit der Finanzmarktkatastrophe zerschellt. Es reicht jedoch nicht, das Ende eines desaströsen Geschäftsmodells zu konstatieren. Wir brauchen eine gesellschaftliche Debatte darüber, was wir an die Stelle neoliberaler Theorie und Praxis setzen wollen. Diese Debatte dürfen wir nicht vermeintlichen Finanzexperten, Börsenspekulanten und Lobbyisten des Zockerkapitals überlassen.

Wir würden ja auch nicht mit Rauschgifthändlern über die besten Strategien zur Bekämpfung der Drogensucht diskutieren. Selbstverpflichtungen der Banken haben versagt. Jedes Haushaltsgerät braucht eine technische Prüfung. Auch Finanzmarktprodukte müssen geprüft und zugelassen werden. Dafür ist ein Finanzmarkt-TÜV einzuführen.

Die IG Metall hält eine Demokratisierung der Wirtschaft für die bessere Alternative zu ungezügeltem Wettbewerb und einseitige Profitmaximierung. Demokratisierung bedeutet nicht Staatskapitalismus. Es geht darum, dass Menschen nicht mehr fremdbestimmte Objekte anonymer Marktkräfte sind, sondern Subjekte, die ihr Schicksal selbst bestimmen können. Das heißt konkret: Wir brauchen mehr Mitbestimmung in den Betrieben. Das VW-Gesetz könnte hier Vorbild sein. Dort ist geregelt, dass wichtige Entscheidungen wie Standortverlagerungen der Zustimmung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat bedürfen. Mit solch echter Mitbestimmung wären Fälle wie Nokia in Bochum oder AEG-Electrolux in Nürnberg nicht möglich gewesen. Hier wurden im Renditewahn Tausende von Arbeitsplätzen vernichtet.

Eine Demokratisierung der Wirtschaft bedeutet auch: Demokratisch legitimierte Institutionen, also Parlamente und ihre Regierung, müssen die Finanzmärkte kontrollieren und regulieren. Die Politik muss jetzt etwa für mehr und bessere Haftung der Banken sorgen. Dafür benötigen wir einen Haftungsverbund. Wenn eine Bank sich verzockt, zahlen die anderen Banken und nicht die Steuerzahler die Zeche. Bankgeschäfte müssen angemessener als bisher mit Eigenkapital unterlegt werden, und schließlich müssen der Spekulation und der kurzfristigen Orientierung der Märkte durch eine Umsatzsteuer auf Wertpapier- und Devisenverkäufe die Spitze genommen werden. Wir brauchen wieder eine Politik, vor allem eine Wirtschaftspolitik, die der Realwirtschaft und der Produktion Vorrang vor der spekulativen und riskanten Finanzwirtschaft einräumt.

Wenn die Gesellschaft diese Lehren aus der Finanzmarktkatastrophe ziehen würde, wäre das das Gute im Schlechten.


Dieser Artikel erschien am 30. Oktober als <link http: www.fr-online.de in_und_ausland wirtschaft aktuell _blank external-link-new-window>undefinedGastbeitrag in der Frankfurter Rundschau".