- in Deutschland oder BRIC-MO? Diese Frage stellen sich viele Siemens-Beschäftigte und -Betriebsräte seit Monaten. Ein Gastbeitrag der Betriebsratsliste mitEINANDER im Stammhaus Erlangen G untersucht das Thema und kommt zu einigen interessanten Schlüssen, die man auch im Management beachten sollte.
So richtig die Konzentration der Siemens AG auf grüne Technologien ist: Das allein wird nicht ausreichen, um die Beschäftigung in Deutschland mittelfristig zu sichern. Mit der Entwicklung moderner Industrieländer zur Dienstleistungsgesellschaft geht die Beschäftigung in der Industrieproduktion zurück. Wer seinen Fokus auf dem Produktgeschäft belässt, wird sich irgendwann auf die Märkte fokussieren müssen, in denen die Industrialisierung Ihren Höhepunkt noch nicht erreicht hat. Die Siemens AG will die gegenwärtige Krise offensichtlich nutzen, um genau das zu tun.
Zum Glück ist Siemens jedoch nicht nur im Produktgeschäft unterwegs. Das Anlagengeschäft erfordert über das technische Detailwissen hinaus die Beherrschung vielfältiger Abstimmungsprozesse und hoher Komplexität. Damit könnten wir unsere Wettbewerbsvorteile und Arbeitsplätze in Deutschland sichern - weit über das Jahr 2014 hinaus. Vorausgesetzt wir nutzen diese Stärken und entwickeln sie systematisch weiter. Gerade danach sieht es jedoch im Moment nicht unbedingt aus.
Produktgeschäft
Auf nach BRIC-MO
In Brasilien, Russland, Indien und China und den Ländern im Mittleren Osten (BRIC-MO) werden in den nächsten Jahren die Schwerpunkte des Wachstums erwartet. Bis zum Jahre 2014 soll der Anteil dieser Länder am weltweiten Bruttosozialprodukt um 49 % steigen (2008: 18 %). Siemens hat angekündigt, diese Märkte rechtzeitig mit einfachen, zuverlässigen, wartungsarmen und bezahlbaren Produkten zu erobern. Das erfordert - so die Siemens AG - lokale Kompetenz und lokale Wertschöpfung in diesen Ländern.
Personalabbau in Deutschland
Weil damit noch mehr Produkt-Engineering und Fertigung ins (außereuropäische) Ausland verlagert wird, werde man das Personal in Deutschland entsprechend reduzieren: In den betroffenen Einheiten will man im ersten Schritt allen MitarbeiterInnen Aufhebungsverträge anbieten. Wo das nicht ausreicht, sollen mit den Betriebsräten Interessenausgleiche und Sozialpläne mit konkreten Vorgaben zur Personalreduzierung vereinbart werden. Wenn auch damit der gewünschte Personalabbau nicht erreicht wird, droht Siemens mit betriebsbedingten Kündigungen.
Auf diese Weise will Siemens das Krisenjahr 2010 nutzen, um sich auf ein „mittelfristig geringeres Marktniveau“ in Deutschland einzustellen. Ein für 2014 erwartetes Marktvolumen auf dem Niveau von 2008 würde angesichts der üblichen Produktivitätssteigerungen eine Personalreduzierung um 15 - 25 % erfordern. Die zunehmenden Nissigkeiten einzelnen Mitarbeitern gegenüber zeigen, dass die Vorbereitungen dazu schon begonnen haben.
Perfekt organisierte Fertigung - durchgestyltes Engineering
Produkt-Engineering und Fertigung werden sich in Deutschland auf Sicht gesehen nur halten lassen, wenn die Tätigkeiten in diesen Bereichen perfekt durchorganisiert sind: Wenn jeder Handgriff sitzt, jede Art von Leerlauf, Doppelarbeit, überflüssiger Leistung und unnötiger Individualität ausgemerzt ist. Mit dem „Siemens Produktions System“ und dessen geplanter Ausweitung auf das Engineering soll genau das erreicht werden.
Damit legt Siemens seinen Fokus dorthin, wo mit bewährten Methoden die im Produktgeschäft bislang gewohnt hohen Renditen auch in Zukunft erzielt werden sollen. Auf diese Weise bleiben wir im Produktgeschäft verhaftet, hetzen dafür um den ganzen Globus und hoffen, dass wir überall willkommen sind. Den internationalen Topmanagern ist es vielleicht egal, ob sie ihren Arbeitsplatz zukünftig in Singapur oder Neu-Delhi vorfinden - uns nicht.
Wer die Fokussierung der Siemens AG auf das industrielle Produktgeschäft akzeptiert, wird um all diese Maßnahmen nicht herumkommen. Er wird bestenfalls die Art ihrer Umsetzung beeinflussen können.
Siemens kann mehr:
Komplexität beherrschen
Zum Glück ist Siemens jedoch nicht nur im Produktgeschäft unterwegs. Wir erarbeiten Lösungen für komplexe Prozesse unserer Kunden. Wir projektieren komplette Anlagen und übernehmen neben der Errichtung und Modernisierung alle für ein lebenslang erfolgreiches Betreiben dieser Anlagen notwendigen Dienstleistungen.
Keine anderes Unternehmen verfügt über ein so umfangreiches Knowhow dazu, weder in der Breite (Energy, I IS, I MO, ...), noch in der Anzahl und Qualität von Mitarbeitern mit den dazu notwendigen Projekterfahrungen und -Kompetenzen. Die Beherrschung von Vielfalt und Komplexität kann uns Wettbewerbsvorteile und Arbeitsplätze in Deutschland sichern - weit über das Jahr 2014 hinaus. Vorausgesetzt wir nutzen diese Stärken und entwickeln sie systematisch weiter. Gerade danach sieht es aber im Moment nicht unbedingt aus:
Offensichtlich sind die im Anlagen- bzw. Prozessgeschäft derzeit erzielten Profitraten dafür zu klein. Eigentlich ist das ungewöhnlich. Denn für die Beherrschung komplexer Prozesse und Dienstleistungen, für Beratertätigkeiten und die Erarbeitung neuer Konzepte wird in der Regel zumindest viel Geld ausgegeben und - gelegentlich auch bei Siemens - viel Geld verdient.
Unterschiedliche Interessen, Experten und Kulturen abstimmen
Im Anlagen- oder Lösungsgeschäft - wie das bei Siemens heißt - kommt es eben nicht nur auf die perfekte Beherrschung aller technischen Details an.
Im Anlagengeschäft kooperieren wir weltweit intern und extern mit unterschiedlichen Organisationseinheiten, Unterlieferanten und Konsortialpartnern. Wir verhandeln komplexe internationale Verträge, sichern Risiken ab und entwickeln maßgeschneiderte Finanzierungskonzepte. Das alles erfordert eine auf ein gemeinsames Ziel gerichtete Verständigung mit Menschen unterschiedlichster Interessen, Fachkompetenzen und Kulturen.
Dazu gibt es zwar in den großen Konzernen der Kommunikationsbranche eigenes Erfahrungswissen; an Universitäten und Forschungseinrichtungen eigenes Knowhow und eigene Ausbildungsgänge. In der Siemens AG jedoch sucht man nach Vergleichbarem vergeblich.
Wenn wir das nicht ändern, werden wir
- unsere im internationalen Vergleich bestehenden Stärken verkommen lassen
- die Zukunft im eigenen Land verschlafen und
- Arbeitsplätze in Deutschland verlieren.
Das muss nicht sein!
Erfolgreich in Deutschland
Allein die Tatsache, dass die Erfolge im Anlagengeschäft sehr unterschiedlich sind, zeigt deutlich, dass die diese Prozesse von einzelnen Personen, ihren besonderen Qualifikationen, Einstellungen, Verhaltensweisen und wohl nicht zuletzt ihrer Art zu kommunizieren bestimmt werden. Trotz aller Meilensteine, Quality Gates, IT-Hilfsmitteln und Projektmanagerausbildung haben wir es bislang noch nicht geschafft, diese Prozesse systematisch und unabhängig von Einzelpersonen erfolgreich zu organisieren. Offensichtlich brauchen wir dazu - ähnlich wie die internationalen Topteams im Sport - die Begleitung von Experten, die sich mit Einstellungen, Verhaltensweisen, Fitness und Kommunikation auskennen.
Um in Deutschland erfolgreich zu sein, müssen wir unsere hohe technische Kompetenz durch die für Erfolge im Anlagenbau unumgänglichen Kompetenzen zur Abstimmung unterschiedlicher Interessen, Experten und Kulturen ergänzen. Erfahrungen, Weiterbildungsangebote und Ausbildungsgänge gibt es dazu außerhalb und teilweise auch innerhalb der Siemens AG genug. Wir müssen nur ausreichend Geduld und Zielstrebigkeit aufwenden, um das den eigenen Erfordernissen entsprechend anzupassen und systematisch auszubauen.
(BR-Gruppierung mitEINANDER ERLANGEN G)