Siemens Dialog
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06.05.2024, 05:05 Uhr

Kritisch, aber konstruktiv

  • 26.11.2008
  • Allgemein

Rund 400 Siemens-Betriebsräte trafen sich vergangene Woche zu ihrem jährlichen Treffen in Berlin. Auf dem Programm: Ein Rückblick auf das ablaufende Jahr und die Bestandsaufnahme der aktuellen Situation aus Beschäftigtensicht. Mit dabei waren Peter Löscher für das Management und Berthold Huber für die IG Metall.

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Die Stimmung der Versammlung wirkte kritisch, aber durchaus konstruktiv. Veränderungen im Vergleich zu den vergangenen Jahren sind unübersehbar, und auch die Turbulenzen der zurückliegenden Monate beginnen nachzulassen.

Gute Geschäfte - ohne Korruption

Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Ralf Heckmann eröffnete die für ihn letzte Betriebsräteversammlung - er tritt zum ersten Dezember von seinem Amt zurück - mit dem Rückblick. Im Mittelpunkt des bewegten Jahres 2008 standen aus Sicht des Gesamtbetriebsrats zum einen die Entscheidung, beim Aufarbeiten der Skandale auch die frühere Unternehmensführung in die Verantwortung zu nehmen, bestätigt durch eine Entwicklung, die seither "zeigt, dass Siemens auch ohne Bestechung gute Geschäfte machen kann."

Das zweite Hautptthema war und ist der Konzernumbau, beziehungsweise der daraus resultierende Personalabbau. Heckmann kritisierte diesen erneut, erinnerte aber auch daran, dass er eine Folge unternehmerischer Entscheidung ist, angesichts derer Gesamtbetriebsrat und IG Metall bestmögliche Bedingungen für die Betroffenen erzielen konnten.*

"Mitbestimmung Stärke des Standorts"

Auch der Vorstandsvorsitzende ging in seiner Ansprache auf den Konzernumbau ein, nun abgeschlossen und damit der "schnellste Umbau in der Geschichte von Siemens." Siemens sei nun "insgesamt viel, viel besser aufgestellt als in den letzten schwachen Jahren der Weltwirtschaft", erklärte Löscher.

Eine deutliche Aussage zur Mitbestimmung unterstreicht das von gegenseitigem Respekt geprägte Verhältnis zwischen dem CEO und der Arbeitnehmerseite, sei es im Unternehmen oder in der IG Metall: "Mitbestimmung ist generell keine Schwäche, sondern eine Stärke des Standorts Deutschland. [...] Deutsche Mitbestimmung kann auch ein Exportartikel sein."

Berthold Huber begann seine Rede mit einem Rückblick auf die Situation vor einem Jahr, als Löscher erst knapp sechs Monate im Amt war, Siemens tief in Untersuchungen wegen Korruption und Begünstigung der AUB steckte und der Finanzkapitalismus anglo-amerikanischer Prägung unangefochten herrschte.

Ansprechbar für soziale Belange

Er kritisierte erneut den Verkauf der Kommunikationsbereiche Enterprise und Home Communications, für den die ehemalige Führung verantwortlich zeichnet. Als positiv stellte er die Zusammenarbeit mit Löscher heraus: "Ich bin davon überzeugt, dass wir mit Herrn Löscher bei seiner Bestellung im Aufsichtsrat eine sehr gute Wahl getan haben. Er meint es ernst mit dem Zusammenhalt von Siemens als integriertem Hochtechnologie-Konzern. [...] In etlichen schwierigen Verhandlungen in den letzten 12 Monaten habe ich die Erfahrung gemacht, dass Herrn Löscher sehr ansprechbar ist für die sozialen Belange der Belegschaft."

Hervorzuheben waren in diesem Zusammenhang die Sicherungen, die die Arbeitnehmerseite für die Umsetzung des SG&A-Programms durchsetzen konnte: vom Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen und der Standort- und Beschäftigungssicherung bis Herbst 2010 über den Verbleib von Mobility im Unternehmen bis zur Sicherung der RD und dem weitgehenden Verbleib der SIMS.

Blick nach vorn: Leiharbeit und Rahmenabkommen

Zwei Themen stehen aus Sicht der IG Metall in der kommenden Zeit bei Siemens oben auf der Tagesordnung: Leiharbeit und ein Internationales Rahmenabkommen für faire Arbeitsbedingungen und faire Arbeitsbeziehungen weltweit. Huber verwies auf über 12.000 Leiharbeitnehmer im Unternehmen und betonte: "Wir alle wollen uns nicht damit abfinden, dass Leiharbeitnehmer auch bei Siemens schlechter bezahlt und schlechter behandelt werden als die Stammbelegschaft. „Equal Pay“ und „Equal Treatment“ soll der Standard für die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern werden."

Angesichts der aktuell bereits vorhandenen Arbeitsbeziehungen und -bedingungen erklärte der IG Metall-Vorsitzende, er sehe "keine Schwierigkeiten darin, dass Siemens ein solches Rahmenabkommen mit der IG Metall, im Namen des Internationalen Metallgewerkschaftsbundes IMB, sowie mit dem Konzernbetriebsrat abschließt und damit ein klares und dauerhaftes Signal nach innen, zu den Zulieferern, und zur Öffentlichkeit gibt. Ein Signal, dass Siemens ein sozial verantwortlicher Global Player ist, der seinen Teil dazu beiträgt, dass die Lebens- und Arbeitsverhältnisse auf der Welt besser und gerechter werden."

Dank an den Gesamtbetriebsratschef

Abschließend dankte Huber dem Siemens-"Urgestein" Ralf Heckmann für seinen Einsatz in 44 Jahren bei Siemens: "Ich danke Dir für alles, was Du für die Kolleginnen und Kollegen und für die IG Metall, geleistet hast." Und auch den Betriebsräten insgesamt sprach der den Dank der IG Metall aus: "Der stabilisierende Faktor der letzten 12 Monate bei Siemens waren die Betriebsräte und die IG Metall. Dank Eurer beharrlichen Bemühungen, und weil die Belegschaft dies offensichtlich genauso sieht, ist die Mitgliederentwicklung bei Siemens sehr positiv und über dem Durchschnitt der IG Metall."*

Nicht nur eitel Sonnenschein

Dass trotz guter Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite noch nicht überall bei Siemens eitel Sonnenschein herrscht, verdeutlichte die mehrstündige Aussprache. Redebeiträge von Betriebsräten kritisierten, was an einzelnen Standorten im Argen liegt: Desorganisation bei der Umsetzung des Personalabbaus kommt offenbar ebenso vor wie Vorgesetztenwillkür; der Missbrauch von Leiharbeit wird an etlichen Standorten kritisiert, andere kämpfen mit einem Übermaß an Arbeit, das durch den Abbau noch verschärft wird; in wieder anderen Bereichen herrscht nach wie vor Unsicherheit darüber, wie es in Zukunft weitergeht. Die Liste ist so lang, dass sie trotz erkennbarer Bemühungen des ebenfalls anwesenden Personalvorstands Siegfried Russwurm und seiner Abteilung noch lange nicht abgearbeitet sein wird.