Siemens Dialog
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27.04.2024, 20:04 Uhr

Sektor Infrastruktur & Cities

  • 05.04.2011
  • Operativ

Nachdem sich die mit der Ankündigung des neuen Sektors Sektor Infrastruktur & Cities verbundenen Wogen etwas geglättet haben, beginnt die inhaltliche Beschäftigung mit den bevorstehenden Veränderungen. Ein Gastbeitrag bietet eine erste Analyse aus Sicht der der Betriebsratsliste "mitEINANDER@igmetall" im Erlanger Stammhaus.

Eine Chance für die Zukunft
Bislang sah Siemens seine Wachstumsmärkte vor allem in der Industrialisierung der Schwellenländer (China, Indien, Brasilien, Russland, ...); also im Nachholen einer in den hochentwickelten Ländern bereits vollzogenen Entwicklung - wenn auch unter anderen Rahmenbedingungen. Die vom Gesamtbetriebsrat geforderte Deutschlandstrategie zur Zukunft der Arbeitsplätze hierzulande liegt noch immer nicht vor.

Vielleicht soll der neue Sektor ein erster Schritt in diese Richtung sein. Schließlich will man sich in diesem Sektor mit neuartigen Herausforderungen und Lösungen an den Grenzen der bisherigen Wachstumspfade befassen.

Langfristige Projekte
Im Geschäft mit „Infrastrukturen und Cities“ müssen Projekte von hoher Komplexität und Vielfalt über lange Zeiträume erfolgreich durchgeführt werden. Das stellt auch an das Management neue Anforderungen, die mit dem im Unternehmen sonst üblichen kurzfristigen Vorgehen nicht unbedingt vereinbar sind. Wenn es deshalb zukünftig auch im Vorstand der Siemens AG zumindest ein Mitglied gibt, das etwas längerfristig denken und planen muss, kann das nur von Vorteil sein.

Hohe Komplexität und Vielfalt
Die Anforderungen an die Mitarbeiter sind hoch: In Infrastruktur-Projekten arbeiten sie in großen Teams, mit Menschen aus unterschiedlichsten Fachrichtungen (Technologien, Logistik, Vertragsrecht, Projektfinanzierung, ...), verschiedenen Kulturen, Firmen, Stadtwerken und -Verwaltungen. Um mit allen erfolgreich auf ein gemeinsames Ziel hinzuarbeiten, benötigt sie neben höchstem technischen und technologischen Knowhow auch hohe Kompetenzen in Organisationstechnik, Teamfähigkeit, Kommunikation und Kooperation.

Vernetzen statt versetzen
Zur Bearbeitung komplexer internationaler (Groß-)Projekte gibt es bereits heute insbesondere in Erlangen Arbeitsplätze, wie sie nach Anzahl und Qualität in keiner anderen Region der Welt zu finden sind. Entscheidend - nicht nur für den Erfolg des neuen Sektors - ist, dass die dazu bestehenden Strukturen erhalten bleiben: Es gilt Standorte (besser) zu vernetzen, statt Mitarbeiter zu versetzen. Wenn erst das große Stühlerücken beginnt und Standorte gewechselt werden, sind diese Kompetenzvorteile auch schnell wieder zunichte gemacht.

Mega-Kompetenzzentrum erhalten
Erlangen ist zwar keine Megacity, aber ein Mega-Kompetenzzentrum für Projektmanagement und Engineering internationaler Großprojekte. Dabei kommt uns die in Deutschland und insbesondere bei Siemens im internationalen Vergleich immer noch relativ offene Kommunikation zwischen Mitarbeitern, Führungskräften und Betriebsräten ebenso zu gute, wie die noch etwas breitere und weniger früh spezialisierte Ausbildung in unseren Schulen und Hochschulen. Wenn wir diese Stärken unseres Kulturkreises konsequent nutzen und das vorhandene breitgefächerte ingenieurwissenschaftliche Knowhow durch hoch qualifizierte Dienstleistungen und professionelle Förderung in Organisationstechniken, Teamfähigkeit, Kommunikation und Kooperation erweitern, können wir diese Arbeitsplätze in Deutschland sicher noch über viele Jahrzehnte sichern.

Wenn nicht, werden Arbeitsplätze weiterhin vor allem im Ausland und dort insbesondere in den Schwellenländern entstehen. Denn Technik alleine beherrschen die Ingenieure dieser Länder auch.

Erstmal nur ein Name
Allerdings ist ein neuer Name allein noch kein Programm. Was konkret in dem neuen Sektor passiert, muss sich erst noch zeigen. Es besteht die Chance, den neuen Sektor als ein Geschäftsfeld mit dem Schwerpunkt auf langfristige, nachhaltige  Projekte mit hoher Komplexität und Vielfalt auszubauen. Aber das könnte natürlich auch anders laufen; zumal die Gebäudetechnik (Building Technologies) bislang eher im kürzerfristigen Produktgeschäft zuhause ist. Einen ersten Aufschluss darüber wird die Entscheidung über den Standort des neuen Sektors geben.

Ein möglicher Schritt in die Dienstleistungsgesellschaft
Eine Orientierung der Siemens AG auf innovative Geschäftsfelder in den hochentwickelten Industriegesellschaften (= Dienstleistungsgesellschaften) war bislang kaum erkennbar. Wenn im neuen Sektor das konsequent eingelöst wird, was der Name verspricht, kann das ein erster Schritt in diese Richtung sein.

Die geplante Aufwertung der MT (Metal Technologies - mit vielen Großprojekten) und der Dienstleistungen als eigenständige Divisionen im Sektor Industry deuten in die gleiche Richtung.

Wenn wir dann auch noch Dienstleistungen als eigenständiges Geschäft organisieren und nicht als Anhängsel anderer Geschäftsarten oder gar lästigen internen (Un-)Kostenfaktor betrachten, wird die Siemens AG ihren Platz auch in den modernen Dienstleistungsgesellschaften - und nicht nur in den Schwellenländern - behaupten.

Wir werden also die nächsten Schritte genau beobachten müssen, um beurteilen zu können, wohin die Neuorganisation wirklich führt.

(Rainer Dankers, Doris Hannemann / mitEINANDER@igmetall)