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02.05.2024, 02:05 Uhr

Wirtschaftselite ohne Bodenhaftung

  • 29.02.2008
  • Allgemein

Der Erste IG Metall-Vorsitzende Berthold Huber wirft deutschen Konzernvorständen angesichts der Tendenz zu massivem Stellenabbau ohne wirtschaftliche Not vor, "ihre Verankerung in der Gesellschaft zu verlieren." Es sei ein Skandal, wenn in Unternehmen trotz hoher Umsätze und hoher Renditen Jobs vernichten würden. Aus dem Arbeitgeberlager kommen halbherzige Beschwichtigungen.

In einer <link http: www.igmetall.de cps rde xchg sid-0a456501-f326407d internet style.xsl _blank external-link-new-window>undefinedPresseverlautbarung brachte Huber (Foto) am am Donnerstag in Frankfurt auch die anderen Aspekte der Diskussion um Toppmanager mit den aktuellen Entlassungplänen in Verbindung: "Mit solchen Entscheidungen, ihren ausufernden Managereinkommen und mit Steuerflucht verstoßen sie gegen ethische Normen unserer Gesellschaft."

Leitbild des ehrbaren Kaufmanns "nicht mehr als ein Feigenblatt"

Die Arbeitgeber- und Industrieverbände fordert der IG Metall-Vorsitzende zu einer schonungslosen Diskussion über das Selbstverständnis der Unternehmer auf. Mit Blick auf einen kürzlich versandten Brandbrief des BDI-Präsidenten Jürgen Thumann an 15.000 Unternehmer erklärte er weiter, Appelle zur Orientierung am Leitbild des ehrbaren Kaufmanns seien "nicht mehr als ein Feigenblatt." Die Bevölkerung habe ein Recht zu erfahren, ob sich die Wirtschaftselite in Zukunft "überhaupt noch am Gemeinwohl orientieren oder ausschließlich den Aktionären die Tasche stopfen will."

Standortfaktor Gerechtigkeit

Die Pläne zum Abbau Tausender Arbeitsplätze unter anderem bei Siemens und BMW bei gleichzeitigen Rekordgewinnen bringen nicht nur Öffentlichkeit und Gewerkschaften in Rage. Finanzminister Peer Steinbrück verlangt mehr Gemeinsinn von der Wirtschaftselite und warnte, es sei problematisch, wenn die Vorbildfunktion ignoriert werde. Die Menschen hätten eine empfindliche Antenne dafür, "wer wo gegen die geschriebene und ungeschriebene Verfassung" verstoße. Wenn Gier und Maßlosigkeit, moralisches Fehlverhalten und das "Rattenrennen nach kurzfristiger Rendite" das Bild bestimmten, drohe die soziale Balance zu schwinden. Die Betreffenden müssten wissen, dass soziale Stabilität auch für ihren ökonomischen Erfolg von hoher Bedeutung sei.

Die soziale Balance derGesellschaft ist nach Steinbrücks Überzeugung "kein Anachronismus." Beispielsweise sei es zynisch, wenn Nokia den Standort Bochum schließe, nur weil ihm die Gewinne nicht hoch genug waren. Er wünsche sich, dass zumindest einige Akteure in den Eliten zur Einsicht kommen, dass sie eine Mitverantwortung für die Balance in der Gesellschaft tragen - Gerechtigkeit sei ein Standortfaktor.

Neue Ethik unnötig?

Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt sieht all das - wohl gewissermaßen von Amts wegen - ganz anders. Er nahm die Abbaupläne von Unternehmen wie Siemens, BMW und Henkel gegen Kritik in Schutz: "International operierende Unternehmen müssen heute anders agieren als früher.

Sein Kollege Ludwig Georg Braun, Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer schloss sich am Freitag mit der Äußerung an, eine neue Ethik in der deutschen Wirtschaft halte er für unnötig. Er wiederholte Thumanns Beschwichtigung, man müsse die Werte des ehrbaren Kaufmanns praktizieren und könne so das Vertrauen der Belegschaften behalten - wenn er sich da mal nicht gründlich irrt. Auch bei seinem Glauben, dass die Entlassenen "sicherlich Plätze in den Bereichen, die weiter wachsen in ihren Regionen" finden könnten, scheint der Wunsch der Vater des Gedankens: Ein kurzer Blick beispielweise auf die Situation der ehemaligen BenQ-Beschäftigten könnte ihn schnell auf den Boden der Realität zurückholen (siehe BenQ: Noch 1.000 ohne Job).