Gerüchteweise zeichnete es sich bereits ab, nun ist es amtlich: Siemens zieht die Konsequenzen aus einer gesellschaftlichen Entwicklung, die sich mit der Katastrophe von Fukushima rasant beschleunigte. Wie bereits seit längerem auch von der Arbeitnehmerseite favorisiert, will das Unternehmen das Geschäft mit Atomkraftwerken endgültig aufgeben.
Positives Echo
Die IG Metall setzt sich bekanntlich schon lange für die Abkehr von der Atomkraft ein, und auch der Gesamtbetriebsrat kommentiert die neue Nachricht positiv: "Bei dem Ausstieg, den wir grundsätzlich befürworten, muss dafür gesorgt werden, dass für die Mitarbeiter, deren Arbeitsplätze mit der Kernenergie verbunden sind und damit gefährdet wären, ein Qualifizierungsprogramm aufgelegt wird. Gefordert ist eine Energiewende, die nicht zu Lasten der Beschäftigten geht und ein verantwortungsbewusstes, tragfähiges Fundament für die Zukunft bildet", erklärte Lothar Adler, der Vorsitzende des Gremiums.
"Das Kapitel ist für uns abgeschlossen"
Etwas befremdlich wirkt der Weg, auf dem CEO Peter Löscher die Entscheidung bekannt gab: Statt einer Pressemitteilung wählte er ein Interview mit dem "<link http: www.spiegel.de wirtschaft unternehmen _blank external-link-new-window>Spiegel". Als "Antwort auf die klare Positionierung von Gesellschaft und Politik in Deutschland zum Ausstieg aus der Kernenergie" bezeichnet er darin den Entschluss, für Kernkarftwerke künftig nur noch Einzelkomponenten zu liefern, die auch in Gas- oder Kohleanlagen verwendet werden: "In die Gesamtverantwortung [...] werden wir nicht mehr einsteigen. Das Kapitel ist für uns abgeschlossen."
Schwerer Kurswechsel
Als "eher wirr" ("Spiegel") möchte der Vorstandsvorsitzende Siemens' Kurs der letzten Monate in der Frage der Atomkraft erwartungsgemäß nicht bezeichnen. Statt dessen erinnert er an die Entscheidung vor zehn Jahren, die sogenannte "heiße" Atomtechnik in Areva NP einzubringen und die Führung dem französischen Partner zu überlassen. Der Ausstieg aus diesem Joint Venture wiederum habe strategische Gründe gehabt: "Wir wollten auf Dauer nicht in einer Partnerschaft bleiben, in der wir nur einen Minderheitsanteil ohne unternehmerischen Einfluss hatten." Dass man dafür letztlich 648 Millionen Euro bezahlen würde, habe man dabei nicht erwartet: "In diesem Fall haben unsere externen Ratgeber und wir das Risiko so nicht gesehen."
Die Kooperationspläne mit der russischen <link http: www.rosatom.ru en _blank external-link-new-window rosatom>Rosatom sind nun naturgemäß hinfällig. Sorgen um etwaige Misstöne in den Beziehungen zu Russland macht sich Löscher deswegen nicht: "Auf russischer Seite war die Reaktion sehr verständnisvoll. [...] An einer Partnerschaft sind beide Beteiligten weiterhin sehr interessiert. Aber sie wird sich auf andere Felder beziehen."
Motor der Energiewende
Vor wirtschaftlichen Einbußen als Folge des Ausstiegs ist Löscher nicht bange: "Siemens wird ein Motor der deutschen Energiewende sein und sieht darin eine Chance für den Investitionsstandort Deutschland, wenn es uns gelingt, dieses Projekt voranzutreiben und zugleich die industrielle Wertschöpfung im Land zu erhalten." Einen kleinen Seitenhieb gibt es in diesem Zusammenhang für die "Kriegserklärung" (siehe Angriff auf dem Heimatmarkt) von General Electrics Deutschland-Chef: "Es ist nicht meine Aufgabe, auf martialische Sprüche eines Mitarbeiters von GE-Chef Jeffrey Immelt einzugehen. Siemens ist breiter aufgestellt als jedes andere Unternehmen [...]."