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28.03.2024, 11:03 Uhr

International verbindliches Rahmenabkommen angestrebt

  • 14.11.2007
  • Allgemein

Zum dritten internationalen Workshop von Siemens-Betriebsräten und mit Siemens befassten Gewerkschaftern am 25./26. Oktober in Frankfurt liegt nun ein ausführlicher Bericht vor.

Nachfolgend der nur leicht gekürzte Bericht:

Der Vorsitzende des Konzernbetriebsrats, Lothar Adler, stellte den derzeit bekannten Planungsstand der Neustrukturierung des Siemens-Konzerns dar, wies aber darauf hin, dass noch die Entscheidung des Aufsichtsrats am 28. November aussteht . Wie bereits in mehreren Medien berichtet, werden demnach die bisherigen Bereiche auf der obersten Ebene zu den drei Sektoren (Medizin, Energie und Industrie) zusammengefasst. Medizin und Energie haben etwa jeweils 15 Mrd. € Jahresumsatz, der Sektor Industrie wird ca. 40 Mrd. € Jahresumsatz umfassen. Die Arbeitnehmerseite bringt ein, daß vier Sektoren vorteilhafter wären.

• Unter den drei Sektoren werden so genannte Divisionen in einer noch nicht genau bekannten Zahl angesiedelt.

• Darunter werden sich Business Units befinden, deren genaue Zahl ebenfalls noch nicht bekannt ist.

• Es soll vier Querschnittsfunktionen geben, nämlich:

o Corporate Governance (CCO)

o Finanzen (CF)

o Personal (CP)

o Technologie (CT)

Das bisherige "Vieraugenprinzip" wird ersetzt durch die Einzelverantwortlichkeit (siehe Das "CEO-Prinzip").

Die Teilnehmer des Workshops diskutierten die zu erwartenden Folgen der Neustrukturierung. Von Verkauf, Ausgliederung oder Stilllegung bedroht erscheinen in der künftigen Struktur weniger gesamte Bereiche als einzelne Business Units. Die Kriterien, welche von ihnen bestehen bleiben, dürften Renditestärke und Wachstumsdynamik sein. Die Gefahr einer Portfoliobereinigung droht aufgrund des anhaltenden Finanzierungsbedarfs vieler Bereiche weiter und nimmt durch das Zusammenlegen von Geschäftsfeldern mit unterschiedlicher Rendite möglicherweise noch zu.

Außerdem sollen nach dem Vorbild Österreichs, das auch für einzelne osteuropäische Länder zuständig ist, in geeigneten Fällen Landesgesellschaften zusammengefaßt werden. Denkbar ist z.B. die Zusammenfassung der skandinavischen Länder. Alle diese Maßnahme bedrohen Arbeitsplätze in den zusammengelegten Bereichen.

Da das jeweilige nationale Management über die geplanten Maßnahmen zumindest im groben informiert ist, wurden die Teilnehmer des Workshops aufgefordert, ihr Management zu den Konsequenzen anzusprechen.

Am 4. Dezember wird das Siemens Europe Committee (Europäischer BR) bei einer Sitzung des erweiterten Geschäftsführenden Ausschusses über die Auswirkungen diskutieren.

Compliance

Kollegin Birgit Steinborn vom deutschen Gesamtbetriebsrat stellte das Vorgehen bei Siemens bei den aktuellen Untersuchungen der Verstöße gegen die Compliance-Richtlinien dar. Dabei betonte sie, daß die Arbeitnehmervertreter die Korruptionsbekämpfung bei Siemens uneingeschränkt unterstützen. Allerdings muß auch Sorge dafür getragen werden, daß im Rahmen dieser Untersuchungen die Siemens-Beschäftigten nicht pauschal kriminalisiert werden.

Vor dem Hintergrund dieser Zielsetzung ist es dem Konzernbetriebsrat gelungen, zu dem Thema eine Vereinbarung mit der Unternehmensleitung abzuschließen (siehe Compliance-Vereinbarung mit dem Konzernbetriebsrat). Sie enthält als zentrales Element die Verpflichtung des Siemens-Konzerns, sämtliche gesetzliche und tarifvertragliche Regelungen sowie mit den Arbeitnehmervertretungen getroffene Regelungen einzuhalten.

Es gilt jetzt, sich für die Beachtung der Vereinbarung einzusetzen: Es ist den Vertretern des deutschen Gesamtbetriebsrats gelungen, eine einseitig verfügte Richtlinie zu Geschenken und Einladungen mit Sanktionsdrohungen vom Tisch zu bekommen (siehe Verunsicherung durch Geschenkeregelung).

Ein anderes Thema ist der Transfer von Mitarbeiterdaten aus verschiedenen Ländern zu einer Wirtschaftsprüfgesellschaft in den USA. Die Teilnehmer des Workshops verabredeten vor Ort den größtmöglichen Widerstand gegen solche Datentransfers zu leisten.

Im Zusammenhang dieses Themas wurde die Forderung nach Vereinbarung erhoben, in der sich Siemens weltweit und verbindlich zur Einhaltung der ILO-Normen und OECD-Richtlinien verpflichtet.

Internationaler Einkommens- und Arbeitszeitvergleich

Wigand Cramer vom Siemens-Team stellte den ermittelten Vergleich der Einkommen, der Arbeits- und der Urlaubszeiten bei Siemens weltweit vor. Basis dafür waren die Antworten in den Fragebögen. Die Einkommensspreizung ist weltweit nach wie vor sehr groß (bis zu 1:10). Dagegen unterscheiden sich die wöchentlichen Arbeitszeiten und die Zahl der Urlaubstage nicht sehr stark. In keinem Fall wird ein Zusammenhang zwischen niedrigen Einkommen und geringer Arbeitslosigkeit erkennbar – eher besteht ein umgekehrtes Verhältnis. Dies bestätigte sich auch durch die Schilderungen der skandinavischen Kollegen, die übereinstimmend von den Schwierigkeiten, trotz hoher Einkommen Fachkräfte für Siemens zu gewinnen, berichten.

Internationalisierungsstrategien bei Siemens

Birgit Steinborn stellte die im Rahmen des Corporate Human Capital Managements betriebenen Vorgehensweisen dar. Hier wird beispielsweise eine globale Mitarbeiterdatenbank angelegt, die zu einer zentralen Kontrollmöglichkeit der weltweiten Personalpolitik führt. Eine europaweite Regelung dazu wird zur Zeit von der Unternehmensseite abgelehnt.

Der internationale Austausch über global angewandte IT-Systeme wurde von den Teilnehmern des Workshops als sinnvoll angesehen. Vor Ort muß das Thema gemäß den jeweiligen Bedingungen behandelt werden.

Ein weiterer Punkt der Internationalisierungsstrategien bei Siemens sind die Global Shared Services wie Finanzverwaltung, IT und Personalwesen. In einem ersten Schritt sind ca. 4 500 Beschäftigte betroffen, zwei Drittel davon Frauen. Teilweise stoßen diese Maßnahmen wegen des Abzugs von Kompetenzen und gleichzeitigen deutlichen Kostenbelastungen durchaus auf Widerstand in den Bereichsleitungen. Die Planungen und deren Auswirkungen vor Ort sollen hinterfragt werden.

Siemens Europe Committee

Der Vorsitzende des Europäischen Betriebsrats von Siemens (SEC), Werner Mönius, stellte die Strukturen und einige der Probleme des SEC dar. Im Lauf der Diskussion erfolgte der Hinweis, daß das SEC sich auf die vorgesehene Veränderung der Struktur von Siemens in Europa einstellen muß. Dieter Scheitor, der Siemens-Betreuer der IG Metall, wies darauf hin, daß nach der Aktivität zahlreicher Europäischer Betriebsräte, darunter auch des SEC, in Richtung der EU-Kommission, diese jetzt doch trotz des Widerstands der Arbeitgeberverbände in Europa eine Revision EU-Richtlinie für die Europäischen Betriebsräte in Gang bringen will.

Fazit

Die Teilnehmer betonten, daß sie von dem Treffen zahlreiche Anregungen und Hinweise für die Arbeit vor Ort mitnehmen konnten. Der internationale Austausch zu den behandelten Themen war hierbei hilfreich. Es erging in der abschließenden Diskussion der Appell an alle, verstärkt standortübergreifende Zusammenkünfte aller Metallgewerkschaften bei Siemens auf nationaler und kontinentaler Ebene durchzuführen.

Festgestellt wurde ferner, daß sowohl ein verbindliches internationales Rahmenabkommen mit Siemens zur verbindlichen Annerkennung der einschlägigen internationalen Arbeitsrechtsnormen (ILO, OECD) als auch die Einrichtung eines weltweiten Gremiums zur Beratung der Arbeitnehmerinteressen bei Siemens angestrebt werden.