Bei jeder Vorstellung der aktuellen Arbeitsmarktentwicklung macht sich trotz mancher Einschränkung durch die Nürnberger Bundesagentur Erleichterung in Deutschland breit. Den alarmierenden Zahlen anderer EU-Länder stehen hier Stabilität und vorsichtiger Optimismus gegenüber - die allerdings sind teuer erkauft.
Geringe Lohnsteigerungsraten, explodierende prekäre Beschäftigung und wachsende Armutsrisiken nämlich finden sich auf der Kehrseite der glänzenden Medaille, nach der die Arbeitslosigkeit seit 2004 trotz Krise abnimmt. Eine Studie der Hans Böckler-Stiftung zeigt, dass auch die sogenannten "Working Poor" in Deutschland stärker zunehmen als anderswo. "Working Poor" nennen Sozialforscher Menschen, die trotz Erwerbstätigkeit arm beziehungsweise von Armut bedroht sind - nach OECD-Kriterien alle, die über weniger als 60 Prozent des mittleren Nettoeinkommens verfügen, in Deutschland als Alleinstehender derzeit 940 Euro im Monat.
Breite des Arbeitsmarktes erfasst
Der Anteil dieser "Working Poor" an den Erwerbstätigen ist hierzulande seit 2004 um 2,2 Prozent gewachsen, ein Negativrekord, den sonst nur noch Spanien verzeichnet. Der Durchschnitt in der EU liegt mit 0,2 Prozentpunkten weit darunter. Als Konsequenz findet sich Deutschland in Sachen Arbeitsarmut mittlerweile im europäischen Mittelfeld wieder. Ein wesentlicher Grund ist die Ausbreitung atypischer Beschäftigung, in der Arbeit generell deutlich schlechter bezahlt wird. Das allerdings ist es nach Auffassung des WSI-Forschers Eric Seils nicht allein: "Die Entwicklung der Arbeitsarmut wird nicht durch wenige, isolierte Beschäftigungsformen getrieben, sondern hat gleichsam die Breite des Arbeitsmarktes erfasst."
Hartz IV schlägt durch
Noch dramatischer zeigt sich die Situation bei der Armut von Arbeitslosen. Seit dem Jahr 2004 sieg die Quoate hier um 29 Prozent, fast das Sechsfache des EU-Durchschnitts. Und 70 Prozent der deutschen Arbeitslosen waren 2009 nach offizieller Definition arm, und damit 25 Prozent mehr als im Schnitt der EU. Die Erholung am Arbeitsmarkt erfasst nach den Daten vor allem diejenigen, die noch nicht lange arbeitslos waren. Damit steigt der Anteil der Langzeitarbeitslosen, deren Absicherung gegen Armut durch die Hartz-Reformen spürbar geschwächt wurde. Im Klartext: Rutscht man schon nach einem Jahr vom Arbeitslosengeld I in Hartz IV, trifft dies das Haushaltseinkommen entscheidend.
Teuere Beschäftigungserfolge
Als Fazit bringt Seils die Schattenseite des im Ausland oft neidisch bestaunten "German Jobwunders" auf den Punkt: "Analysiert man die soziale Lage der Erwerbsbevölkerung, dann zeigt sich, dass die deutschen Beschäftigungserfolge mit einem hohen sozialen Preis verbunden waren."
<link http: www.boeckler.de _blank external-link-new-window hbs>Vollständiger Artikel bei der Hans Böckler-Stiftung