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26.04.2024, 18:04 Uhr

Weniger Kinder, ärmere Kinder

  • 05.08.2011
  • Allgemein

Die Nachrichten kamen getrennt, aber der Zusammenhang liegt auf der Hand: Jedes sechste Kind in Deutschland ist von Armut bedroht, gleichzeitig liegt der Kinderanteil an der Bevölkerung auf einem historischen Tiefstand. Zahlreiche Lippenbekenntnisse und Absichtserklärungen können den alarmierenden Trend unverkennbar nicht bremsen, geschweige denn stoppen.

Das statistische Bundesamt stellt am Mittwoch in Berlin einen Bericht vor, der mit wenigen trockenen Zahlen ein Armutszeugnis ausstellt: Jedes sechste Kind in Deutschland ist von Armut bedroht, lebt also in einem Elternhaus, dessen Jahresnetto unter 11.151 Euro liegt. Außerdem wachsen hier gemessen an der Gesamtbevölkerung weniger Kinder und Jugendliche auf als in irgendeinem anderen Land Europas.

Kinder als Luxus

Nur 16,5 Prozent der über 81 Millionen Deutschen jünger als 18 Jahre, 15 Prozent von ihnen offiziell armutsgefährdet  - die Zahlen sprechen Bände über die sozialen und politischen Bedingungen für das Aufziehen von Kindern in einer der reichsten Industrienationen der Welt. Natürlich lässt sich diese Entwicklung nicht auf eine einzige Ursache reduzieren, aber eine grundlegende Verbindung ist kaum zu übersehen: Ohne soziale Risiken Kinder in die Welt zu setzen wird in Deutschland zunehmend zum Luxus für eine einkommensstarke Minderheit.

Wirkungslose Familienpolitik

Neben einer weitgehend wirkungslosen Familienpolitik sind die Ursachen in anderen Rahmenbedingungen zu suchen, welche die Politik offenbar seit Jahren nicht effektiv angehen kann oder will. Über ein Drittel der armutsgefährdeten Kinder lebt in Haushalten von Alleinerziehenden, zeigt etwa die Statistik weiter - kein Wunder, denn der katastrophale Mangel an Betreuungsangeboten macht eine reguläre Vollzeitbeschäftigung für Alleinerziehende praktisch unmöglich; potenzielle Alternativen wie Elterninitiativen sind meist mit hohen Kosten verbunden.

Es bleibt bei wohlklingenden Erklärungen

Vollmundige Erklärungen, die Regierung habe "ein großes Interesse daran, dass sich junge Menschen, die sich Kinder wünschen und Eltern werden wollen, für den Kinderwunsch tatsächlich entscheiden" (<link http: www.bundeskanzlerin.de nn_700276 content de rede _blank external-link-new-window bundeskanzlerin.de>undefinedBundeskanzlerin Merkel), wirken angesichts dieser Realitäten wenig überzeugend. Dass es auch anders geht, zeigen Länder wie Frankreich: Für Kinder unter drei wird die private Betreuung durch Tagesmütter ebenso subventioniert wie die Schaffung von Angeboten in den Unternehmen, danach besteht Rechtsanspruch auf einen Vorschulplatz mit ganztägiger Betreuung.

Armutsrisiken eindämmen, Betreuung ausbauen

Ein zusätzliches Armutsrisiko für Eltern und ihre Kinder besteht in der Ausbreitung von prekärer Beschäftigung und Niedriglöhnen sowie der wachsenden Unsicherheit vieler Arbeitsplätze. "Mit prekären Jobs können vor allem Alleinerziehende ihre Kinder nur schwer versorgen. Wir brauchen endlich wieder eine faire Ordnung am Arbeitsmarkt", reagierte der Erste IG Metall-Vorsitzende Berthold Huber auf die neue Statistik; dazu gehören die Umsetzung des Equal Pay-Prinzips in der Leiharbeit, flächendeckende Mindestlöhne und bessere Wechselmöglichkeiten von Teilzeit und Minijobs in Vollzeitstellen, und: "Die IG Metall fordert einen Rechtsanspruch auf qualifizierte und kostenlose Ganztagskinderbetreuung bis einschließlich zum 14. Lebensjahr."