Siemens Dialog
https://www.dialog-igmetall.de/nachrichten/neuer-stoff-fuer-die-entgeltdebatte
30.04.2024, 19:04 Uhr

Neuer Stoff für die Entgeltdebatte

  • 10.09.2010
  • Allgemein

Das statistische Bundesamt untermauert, was eigentlich längst bekannt ist: Die deutschen Löhne und Gehälter sind im vergangenen Jahrzehnt nur um knapp 22 Prozent gestiegen und liegen damit weit unter dem EU-Durchschnitt von stattlichen 35,5 Prozent. Eine der Ursachen ist nach Einschätzung der IG Metall die Ausbreitung prekärer Beschäftigung.

Deutschland: 22, Rumänien: 560

Das <link http: www.destatis.de jetspeed portal cms _blank external-link-new-window destatis>undefinedBundesamt für Statistik legte am Mittwoch einen Vergleich der Entwicklung von Bruttoentgelten in der EU seit 2000 vor. Deutschland bildet mit 21,8 Prozent Zunahme das Schlusslicht, Nachbarn wie Frankreich verbuchen eine Steigerung um über 30 Prozent. Ganz oben stehen die Beitrittsländer Osteuropas, in Polen etwa verdient man heute durchschnittlich über 80 Prozent mehr als vor zehn Jahren; absolute Spitze ist Rumänien mit 560 Prozent Steigerung.

Mit Vorsicht zu genießen, aber sicher ein Indikator

Nun sind statistische Zahlen bekanntlich mit Vorsicht zu genießen, um nicht abwegige Schlussfolgerungen zu ziehen. Da wären zum einen Faktoren wie die zeitweilig über 45 Prozent liegende Inflation in Rumänien; zum anderen relativiert ein Blick auf das absolute Ausgangsniveau den ersten Eindruck spürbar, wie die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände eilends betonte. Dennoch ist unter dem Strich ein klarer Trend festzustellen, der nicht wirklich überrascht: Die Gesamtheit der deutschen Beschäftigten hat in den vergangenen Jahren mit bescheidenen Ansprüchen die Arbeitgeber-Mär von unersättlichen Arbeitnehmern und Gewerkschaften gründlich widerlegt.

"Skandalöse Ausweitung eines Niedriglohnsektors"

Ein wesentlicher Effekt ist dabei gerade in der jüngeren Vergangenheit in den Vordergrund gerückt. Der erste IG Metall-Vorsitzende Berthold Huber nahm gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" kein Blatt vor den Mund: Die Ursache liege vor allem "in der skandalösen Ausweitung eines Niedriglohnsektors durch prekäre Arbeitsverhältnisse wie Leiharbeit". Die IG Metall fordert daher die Bundesregierung ein weiteres Mal auf, diese Entwicklung politisch zu stoppen.

Unverbindlichkeit aus der Politik

Der aktuelle Gesetzentwurf der Arbeitsministerin aber beschränkt sich im wesentlichen auf eine besonders infame Praktik im Umgang mit Arbeitnehmern (siehe "Beruhigungszäpchen" statt Lösung). Da hilft es wenig, dass Ursula von der Leyen die Zahlen des Bundesamts zum Anlass für das Statement nahm, von der Aufschwungphase sollten auch die Arbeitnehmer profitieren. Man darf wohl fragen, ob das nicht für die Leiharbeiter gilt, die in der Krise das Nachsehen hatten, jetzt aber das Gros aller Neueinstellungen ausmachen.

Interessante Frage

Im Kommentar der "Süddeutschen Zeitung" zum Thema Lohnentwicklung betont Autor Detlef Esslinger, die Statistik stelle Tendenzen dar, sage aber nichts über Inflationsraten, Lebensstandards und so weiter. Statt dessen zeige sie, dass den deutschen Gewerkschaften die Sicherung gutbezahlter Jobs wichtiger war, als diese noch besser bezahlen zu lassen, und: "Zweitens aber gibt es Branchen, in denen die Jobs zwar schlecht bezahlt sind, die Gewerkschaften jedoch zu wenig Mitglieder und daher kaum Macht haben." Menschen, die sich jetzt angesichts der Statistik als unterbezahlt einstufen, schlägt er daher eine interessante Frage an sich selbst vor: "Wäre ein Beitritt zur Gewerkschaft vielleicht mal eine Erwägung wert?"